Führungskräfte sind für die Gesundheit wichtiger als das Fitnessstudio

Frisches Obst, kostenloses Wasser, Kickertische zum Spielen, Gutscheine fürs Fitnessstudio und manchmal ein Masseur, der ins Haus kommt – Gesundheitsangebote in Unternehmen boomen. Dabei sind sie ein Wettbewerbsfaktor geworden. Es scheint zum guten Ton zu gehören, dass Firmen mit ihren Angeboten um Fachkräfte werben. Darüber hinaus lebt eine ganze Industrie immer besser davon, Unternehmen mit dem, was sie dafür benötigen, auszustatten. Doch für gesunde Mitarbeiter ist mehr erforderlich.
Das betriebliche Gesundheitsmanagement befasst sich mit diesem Thema. Es besteht aus einem wesentlich breiteren Spektrum, nämlich der „Gestaltung, Lenkung und Entwicklung betrieblicher Strukturen und Prozesse, um Arbeit, Organisation und Verhalten am Arbeitsplatz gesundheitsförderlich zu gestalten“, wie Wikipedia zusammenfasst. Dazu zählen Arbeitsschutz, betriebliche Gesundheitsförderung, Verbesserung der Führungskultur, Massnahmen zur Vereinbarkeit von Privatleben und Beruf sowie Aufgaben der altersgerechten Arbeitsgestaltung. Dahinter steht der Gedanke, die Gesundheit der Mitarbeiter zu erhalten und zu fördern, um wettbewerbsfähig zu sein.

Handlungsbedarf erkannt

Denn nur gesunde, motivierte Mitarbeiter erbringen beste Leistungen. Wer hingegen gestresst ist, hat oftmals mit Beschwerden wie Rückenschmerzen, Migräne, Depressionen oder Burn-out zu kämpfen. Die Mitarbeiter fallen häufiger aus, was die Unternehmen teuer zu stehen kommt. Deshalb haben viele von ihnen begonnen, sich der Thematik anzunehmen und die Gesundheit sowie die Motivation ihrer Mitarbeiter zu fördern.

Gut 70 Prozent der Schweizer Betriebe setzen betriebliches Gesundheitsmanagement in irgendeiner Form um. Das ergab die erste repräsentative Umfrage im Auftrag der Stiftung „Gesundheitsförderung Schweiz“ aus dem Jahre 2016. Die meisten Befragten gaben an, das betriebliche Gesundheitsmanagement in den kommenden Jahren ausbauen zu wollen. Um diesen Bedarf wissen auch Entscheider in Hochschulen und Wirtschaft.

Industrie verdient mit

Längst gibt es Seminare, Fortbildungen und Studiengänge, die sich betrieblichem Gesundheitsmanagement widmen. Hersteller von Büromöbeln versuchen zunehmend, gesundheitsfördernde Varianten von Tischen sowie Stühlen zu verkaufen. Es sind sogar ergonomische Computermäuse und -tastaturen erhältlich. Fitnesstrainer kommen in die Betriebe. Die Initiativen führen sogar so weit, dass Hersteller Technologien entwickeln, die in Unternehmen zum Einsatz kommen können. Das heisst dann „digitales Gesundheitsmanagement“.

In jedem Bereich des betrieblichen Gesundheitsmanagements gibt es inzwischen solche Ansätze, wie Georg Bauer, Leiter der Abteilung Gesundheitsforschung und betriebliches Gesundheitsmanagement an der Universität Zürich, in einem Interview mit bilanz.ch erklärt. So können Apps verwendet werden, um die Arbeitszeit und Fälle mit gehäuften Absenzen zu erfassen, besser mit Stress umzugehen oder seine Zeit zu managen. Dort kommen auch Wearables zum Einsatz, die beispielsweise den Puls, die Schrittzahl und den Hautwiderstand anzeigen. Solche Instrumente können den Mitarbeiter gläsern machen.

Digitale Chancen und Gefahren

„Es gibt Tools, bei denen man das Stressniveau von Mitarbeitern anhand der Bewegung der Computermaus messen kann. Die Müdigkeit kann mittels einer Kamera gemessen werden, die die Augenbewegung des Mitarbeiters aufnimmt. Selbst die Stimme während eines Telefonats oder den Wortlaut, den Arbeitnehmer in Emails verwenden, können Computer heute analysieren. Darüber werden Rückschlüsse gezogen, in welcher Grundstimmung der Mitarbeiter sich gerade befindet, wie gestresst er ist und auch mit welchen Emotionen er mit den Kunden umgeht“, so Georg Bauer. Er macht daher auch darauf aufmerksam, dass es um einen verantwortungsvollen Umgang mit solchen Instrumenten geht.

So müsse der Datenschutz gewährleistet sein. „Vorgesetzte oder gar der gesamte Betrieb sollten auf keinen Fall sehen, wer sich wie viel bewegt oder wer wie stark gestresst ist.“ Trotzdem befinde sich das digitale Gesundheitsmanagement noch in einer frühen Phase. Wesentlich grösseren Einfluss auf die Gesundheit der Mitarbeitenden haben Führungskräfte.

Die Verantwortung der Chefs

„Wie gut es den Mitarbeitenden geht, hat zu einem grossen Teil mit dem Führungsstil des Chefs zu tun“, sagt die Arbeitsmedizinerin Dr. Manuela Jacob-Niedballa. Bezug nehmend auf den aktuellen Stressreport der deutschen Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin erklärt sie in HR Today, dass Arbeitnehmer, die sich von ihrem Chef wenig bis gar nicht wertgeschätzt fühlen, oft sechs oder mehr körperliche Beschwerden haben. Daher rät sie zu wertschätzendem Umgang.

Doch dieser lässt sich nur realisieren, wenn die Führungskräfte eine entsprechende Unternehmenskultur entwickelt haben. Eine solche fördert ebenso die Diversitätbindet ältere Mitarbeiter ein und stärkt die Resilienz von Beschäftigten. Somit tragen Chefs enorm hohe Verantwortung für die Motivation sowie Gesundheit ihrer Mitarbeiter und die zweieinhalb Jahre alte Aussage von SAP-Gesundheitsmanagerin Dr. Natalie Lotzmann in einem Interview mit „Zeit Online“ trifft noch immer den Kern: „Führungskräfte sind für die Gesundheit wichtiger als der Hausarzt.“

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