Wie entwickelt sich die Arbeitszeit nach der Pandemie?

Das Institut für Arbeit und Qualifikation (IAQ) stellte auf Basis von Eurostat-Daten fest, dass sich die Arbeitszeit abhängig Vollzeitbeschäftigter von 2010 bis 2020 um 0,7 Stunden reduziert hat. Fast die Hälfte dieses Rückgangs ist auf den Einfluss der Corona-Pandemie zurückzuführen. Im Vergleich der Jahre 2020 zu 2019 reduzierte sich die Arbeitszeit der Vollzeit-Beschäftigen in Deutschland um 0,3 Stunden.

Der Vergleich der Geschlechter zeigte einen Gender Time Gap, da sich die Arbeitszeit bei Frauen in Vollzeit doppelt so stark reduzierte gegenüber den männlichen Beschäftigten. Auch die Untersuchung der Beschäftigung in Teilzeit offenbarte eine Differenz zwischen den Geschlechtern. Männer in Teilzeit arbeiteten 1,7 Stunden mehr als vor der Pandemie. Bei Frauen betrug der Anstieg nur 0,8 Stunden. Durch die Pandemie entfielen Möglichkeiten der Betreuung für Kinder. Es lässt sich vermuten, dass die heimische Versorgung von Klein- und Schulkindern stärker die Frauen belastete.

Der Trend geht zu mehr Stellen mit einem Teilzeit-Pensum

Teilzeit wird durch einen Beschäftigungsgrad von weniger als 90 Prozent definiert. In den frühen 1990er-Jahren hat in der Schweiz jeder vierte Erwerbstätige in Teilzeit gearbeitet. Heute sind mehr als ein Drittel der Beschäftigten in Teilzeit tätig und Frauen dreimal häufiger als Männer.

Durch die Pandemie zeigte sich ein Trend zu noch mehr Interesse an Teilzeit. Die Nachfrage nach Stellen mit einem Pensum unter 100 Prozent nehmen schneller zu als das Angebot dieser Positionen. Eine Untersuchung von jobchannel.ch zeigte, dass Anfang 2021 nur 17 Prozent aller Stellenanzeigen mit Teilzeitpensum ausgeschrieben wurden. Gegenüber der Studie aus 2018 war dies ein Anstieg um drei Prozentpunkte. Eine Auswertung der Klicks auf Stellenanzeigen zeigte für den gleichen Zeitraum jedoch einen klaren Anstieg der Klicks auf Teilzeit-Stellen. Diese beliefen sich 2021 auf 37 Prozent aller Abfragen von Stellensuchenden.

Die Menschen haben sich durch die Beschränkungen der letzten zwei Jahre wieder mehr auf immaterielle Werte fokussiert. Dazu gehört, die Beziehung zu Familie und Freunden intensiv zu pflegen und (neuen) Hobbys nachzugehen. Die derzeit in manchen Ländern zu beobachtende „Kündigungswelle“ zeigt, dass viele Menschen neue Herausforderungen suchen. Manche davon wagen die Selbstständigkeit. Wer Teilzeit arbeitet, kann sich von seinem Arbeitgeber eine Genehmigung einholen, um nebenberuflich zu gründen. Derjenige kann die Tätigkeit aufnehmen, wenn er nicht in Konkurrenz zum Unternehmen tritt, bei dem er angestellt ist. Die für die Selbstständigkeit investierte Zeit darf nicht mit der Angestelltentätigkeit kollidieren und Ruhezeiten müssen eingehalten werden.

Weniger Burn-outs bei gleicher Produktivität: Island setzt auf die 4-Tage-Woche

Hoch im Norden möchte gleich ein ganzes Land eine bessere Work-Life-Balance erreichen. Nach einer Testphase von 2015 bis 2019, hat Island für die Mehrheit seiner arbeitenden Bevölkerung das Recht auf eine 4-Tage-Woche mit 35 Stunden eingeführt. Der Test mit einem Prozent der Angestellten zeigte eine bessere Work-Life-Balance durch die 4-Tage-Woche als Win-win-Situation für Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Die Beschäftigten in Island spüren mehr Lebensqualität und Zufriedenheit. Die Zahl der Burn-outs ging in der Testgruppe erkennbar zurück. Gleichzeitig blieb die Produktivität erhalten und verbesserte sich teilweise sogar. Dies wird auf neue Strategien mit effizienteren Prozessen und optimierten Arbeitsabläufen zurückgeführt. Dabei spielen digitale Hilfsmittel eine wichtige Rolle sowie die intensive Kooperation mit den Kollegen. Sitzungen fanden seltener statt, waren kürzer oder wurden gleich ganz gestrichen.

Die isländischen Ergebnisse lassen sich nicht 1:1 auf die Schweiz übertragen, da die Ausgangssituation unterschiedlich war. Mit 87 Prozent waren der Beschäftigungsgrad und die durchschnittliche Jahresarbeitszeit in Island vergleichsweise hoch.

Laut des Bundesamtes für Statistik der Schweiz beträgt die durchschnittliche Jahreszeit über alle Erwerbstätige 1540 Stunden. Dieser niedrige Wert ist dem mittlerweile hohen Anteil an Teilzeitkräften geschuldet. Werden allein Arbeitnehmende mit einem Pensum von 100 Prozent betrachtet, lag die Jahresarbeitszeit im Jahr 2020 bei 1957 Stunden.

Spanien plant für das Jahr 2022 einen gross angelegten Test, um die 4-Tage-Woche in der Praxis zu erproben. Die Zielsetzung ist dabei, neue Stellen zu schaffen. In Grossbritannien, Australien, Neuseeland und den USA gibt es Pilotprogramme und Unternehmen wie Unilever haben die Vier-Tage-Woche erprobt.

Auch in der Schweiz gibt es schon einige meist kleinere Unternehmen mit einer 4-Tage-Woche. Diese gehören überwiegend zur Kreativ- und Digitalbranche, wie beispielsweise die Digitalagentur Seerow. Nach einer Pilotphase hat sich das KMU entschieden, die 4-Tage-Woche beizubehalten. Seither wird bei Seerow noch genauer hinterfragt, ob eine Sitzung wirklich stattfinden muss und wer zwingend teilnehmen sollte. Wissen zu teilen ist ebenfalls ein wichtiger Baustein.

Vollzeit, Teilzeit oder ein stetiger Wechsel?

Durch den Eintritt der Babyboomer-Generation in den Ruhestand fehlen bereits heute in vielen Branchen der Schweiz qualifizierte Arbeitskräfte. Die schon lange zu niedrige Geburtenrate wird das Problem in Zukunft weiter verschärfen.

Falls künftig ein noch höherer Anteil der verbleibenden Arbeitnehmer in Teilzeit arbeiten will, kann es schwierig werden.

Wie lassen sich Menschen davon überzeugen, mehr zu arbeiten oder wieder von Teilzeit auf Vollzeit zu wechseln? Arbeitgeber können mit flexiblen Rahmenbedingungen rund um das mobile Arbeiten und Homeoffice punkten. Auch die Unterstützung für Arbeitnehmer mit Kindern oder zu pflegenden Angehörigen könnte sich positiv auf den Beschäftigungsgrad auswirken. Ein flexibler und unkomplizierter Wechsel von Vollzeit nach Teilzeit und wieder zurück würde den veränderten Erwerbsbiografien Rechnung tragen. Je nach Lebensphase wählen die Menschen dann unterschiedliche Arbeitszeitmodelle. Ein flexiblerer Übergang in den Ruhestand könnte die Erwerbsquote erhöhen, wobei vermutlich ältere Menschen bevorzugt in Teilzeit tätig werden möchten.

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