Rekrutieren ohne Stereotype und ohne Diskriminierung

Viele Schweizer Unternehmen haben erkannt, dass heterogene Teams produktiver und innovativer arbeiten als solche mit fehlender Vielfalt. Mit Diversity Management achten die zuständigen Personaler darauf, dass die Mitarbeitenden unterschiedlichen Altersgruppen entstammen, beide Geschlechter vertreten sind und verschiedene Kulturen aufeinandertreffen. Trotz technischer Unterstützung im Zeitalter der Digitalisierung entscheidet der Mensch noch immer selbst, wen er einstellt. Im Gegensatz zu intelligenten Tools neigen wir Menschen dazu, mehr Sympathie für Personen zu empfinden, die uns ähnlich sind. Das kann das Geschlecht betreffen, das Alter, Lebenseinstellungen oder Interessen. Aufgrund dieser Sympathien besteht die Gefahr, dass bei der Rekrutierung und Einstellung nicht ausreichend auf Diversität geachtet wird und Entscheidungen subjektiv getroffen werden.   

Mit oder ohne Bewerbungsfoto?

Bereits bei der Bewerbung geben Stellensuchende viele Informationen von sich preis, so beispielsweise ihr Alter und ihr Aussehen. In den USA und Grossbritannien fand man bereits vor Jahren eine Lösung für dieses Dilemma: Das Mitsenden von Fotos der Bewerber ist dort ebenso verpönt wie die Angabe des Alters. Da in diesen Ländern ein Antidiskriminierungsgesetz gilt, möchten sich die Unternehmen möglichst nicht angreifbar machen und verzichten deshalb bewusst auf diese Informationen. Eine vergleichbare Gesetzgebung gibt es in der Schweiz bislang nicht, Fotos und Altersangaben sind in den Bewerbungsunterlagen üblich und fast immer vorhanden. Die Credit Suisse stellt sich diesem Trend bewusst entgegen und erwartet von ihren Bewerbern keine Fotos mehr. Aber reicht das aus, um Stereotype und Diskriminierung nachhaltig aus dem Bewerbungsprozess zu verbannen? Diese Frage stellten sich auch die Credit Suisse und weitere Unternehmen wie die Post, Axa Winterthur oder ABB. Diese möchten deshalb einen Schritt weiter gehen und streben an, Bewerbungen komplett zu anonymisieren – zumindest sobald eine ausgereifte Software dafür verfügbar ist.

Wie anonym soll die Bewerbung sein?

Der administrative Aufwand, um Bewerbungen komplett zu anonymisieren, ist enorm. Eine solche anonymisierte Bewerbung verhindert, dass der zuständige Personaler Alter, Geschlecht oder Herkunft des Bewerbers ableiten kann. In der Konsequenz werden auch Bewerber zu einem Gespräch eingeladen, die in manchen Fällen bereits vorgängig aussortiert worden wären. Dies könnte erheblichen Mehraufwand verursachen, jedoch auch eine grosse Chance für das Unternehmen und die Bewerber darstellen.

Werden Lehrlinge oder studierte Berufseinsteiger gesucht, liegt der Fokus auf Studienfächern, Kompetenzen und ehrenamtlichem Engagement. Die Praxiserfahrung ist bei allen Bewerbern ähnlich gross oder klein. Schreibt das Unternehmen jedoch eine Stelle für Menschen mit Berufserfahrung oder gar Führungserfahrung aus, verändert sich die Situation. Ein 30-jähriger Kandidat hat meist deutlich weniger frühere Arbeitgeber aufzuweisen als ein Bewerber mit Ende 40. Wenn beide für die gesuchte Stelle geeignet wären, kann bei der Entscheidung das Alter eine Rolle spielen. Ist das Durchschnittsalter der Mitarbeitenden niedrig, böte sich im Zuge der Vielfalt die Einstellung des älteren Bewerbers an. Seine Erfahrung und Kompetenz sind weitere Pluspunkte, ein möglicherweise hoher Gehaltswunsch ein Nachteil. Ist das Unternehmen überaltert und wünscht sich eine stärkere Durchmischung, würde sich hingegen der jüngere Kandidat anbieten.

Lässt sich Sympathie objektivieren?

Unbewusste Sympathien oder Präferenzen können auch durch andere Angaben ausgelöst werden. Liest der Personaler und Sankt Gallen Alumni, dass die Bewerberin oder der Bewerber dort ebenfalls studiert hat, vergibt sein Bauchgefühl unbewusst einen Bonus. Ähnliches kann für Wohnort oder Hobbys gelten, selbst wenn diese Aspekte für die jeweilige Tätigkeit nicht relevant sind. Doch ist es eine Lösung, anonym, neutral und zahlenbasiert einzustellen – und wie praxistauglich ist diese Forderung? Schliesslich ist es nicht unwichtig, dass sich Menschen sympathisch sind, die künftig Tag für Tag zusammenarbeiten. Sympathie darf als subjektiver Faktor in den Entscheidungsprozess einfliessen, solange sie nur einen Aspekt neben faktenbasierten und objektiven Informationen darstellt. Einige Unternehmen überlassen bereits die erste Analyse und Vorauswahl einem Rekrutierungstool. Dieses nimmt einen anonymen und objektiven Abgleich zwischen den Anforderungen der Stelle und der Qualifikation des Bewerbers vor. Nur, wer erfolgreich durch dieses Nadelöhr kommt, wird dem Personaler präsentiert.

Ausblick

Die Ansätze zu anonymen Bewerbungsprozessen sind interessant und könnten in Zeiten drohenden Fachkräftemangels noch relevanter werden. Ob sich der Aufwand lohnt oder ein Abbau existierender Vorurteile und Stereotype durch die Sensibilisierung der Entscheider zielführender ist, wird die Zeit zeigen. Der ideale Weg könnte ein stufenweiser Prozess sein, der die Intelligenz der Maschine und Big Data mit der Erfahrung und dem Bauchgefühl des HR-Experten kombiniert.

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