Meetings – zeitraubendes Symptom eines defekten Systems

Meeting, Jour fixe, Call, Brainstorming, Konferenz, Besprechung, Stand-up – viele Mitarbeiter hetzen von einem zum nächsten dieser Termine. Mit fünf Stunden pro Woche verbringen die Schweizer mehr Zeit in Meetings als Deutsche, US-Amerikaner und Briten, bescheinigt der „Meeting Status 2019“ des Online-Terminplaners Doodle. Zwar ist die Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern auch einer der effizientesten Märkte, doch trotzdem sind 40 Prozent der Meetings unnötig. Das wiederum bedeutet zusammengefasst viel verlorene Zeit und hohe Kosten, nicht zuletzt aufgrund unzufriedener, unproduktiver Mitarbeiter.

Entwicklung zur Schwafelrunde

Dass Meetings dennoch im Trend liegen, dürfte im Wesentlichen in der Kultur begründet liegen. Sowohl in Unternehmen als auch in Kundenbeziehungen ist Mitgestaltung eine aktuelle Forderung. Agile Methoden, die enorm an Bedeutung gewonnen haben, und die Entwicklung von Webtechnologien haben den Trend der blühenden Meetingkultur befördert. Denn mit Software wie Skype, Zoom & Co. ist es kinderleicht geworden, Meetings mit Partnern auf der ganzen Welt abzuhalten. So wird heute aufwendig abgestimmt, terminiert, eingeladen, bestätigt, erinnert, abgesagt, verschoben, geteilt, debattiert und protokolliert – ohne etwas Produktives zu leisten.

Denn zum administrativen Aufwand, der sich im Übrigen mit der Teilnehmerzahl erhöht, kommt hinzu, dass viele dieser Meetings unnütz sind und für Probleme sorgen, statt zur Lösung beizutragen, wie Jochen Mai, Gründer und Chefredakteur des Job- und Bewerbungsportals Karrierebibel, feststellt. Sie fragmentieren zum Beispiel den Tag der Teilnehmer in immer kleinere, kaum noch produktive Einheiten. Die Zusammenkünfte seien „oft nichts weiter als Marktplätze der Eitelkeiten“ und: „Viele Büroarbeiter sind längst zu Rittern der Schwafelrunde mutiert.“

Tipps für effektive Meetings

Um das zu ändern, gibt es ein Universum an Betrachtungen und Tipps, von denen immer wieder verschiedene zusammengefasst werden. Dazu zählen laut Karrierebibel Ratschläge wie: Meetings pünktlich beginnen, die Agenda rechtzeitig vorbereiten, die Aufmerksamkeit durch Fragen erhöhen, Schweiger gezielt ansprechen, Diskussionen fördern, Entscheidungen sichtbar dokumentieren, Feedback einholen, sich an den Zeitplan halten und das Meeting abbrechen, wenn unter anderem alle zu spät kommen, keiner vorbereitet ist oder nichts herauskommt. Jeff Bezos, CEO von Amazon, setzt dem Magazin t3n zufolge auf die Zwei-Pizza-Regel: „Bei dem IT-Konzern dürfen nur so viele Personen an einem Meeting teilnehmen, dass sie von maximal zwei Pizzen satt werden.“

Andere Betrachtungen nehmen kulturelle Unterschiede von Menschen ins Visier, schaffen Stereotypen, wie „den Störenfried“, „den Schweiger“ und „den Snacker“, der stets zumindest Kaffee dabeihat. Sie befassen sich damit, wie die unterschiedlichen Charaktere am besten miteinander interagieren können. So sind auch diverse Verhaltensregeln zu finden wie den Blickkontakt zu halten, andere nicht blosszustellen – und nicht einzudösen. Sie lesen sich, als müssten Manieren, die im Alltag selbstverständlich sind, für Meetings neu erfunden werden.

Analyse bis ins Detail

Weiteres Sezieren des Themas fördert die Frage zutage, ob Meetings im Stehen oder im Sitzen abgehalten werden sollten. Sofern das Meeting im Sitzen stattfindet, ist die Sitzordnung von grosser Bedeutung, wie t3n berichtet. Generell sollte auf den richtigen Abstand geachtet werden, der vom jeweiligen Beziehungsstatus abhängig ist. Das bedeutet, dass die intime Distanz von 60 Zentimetern gewahrt bleiben sollte. Darüber hinaus kommt es auf die Sitzordnung an. In Teammeetings beispielsweise sei es vorteilhaft, wenn alle Teilnehmer einander zugewandt sitzen und niemand durch seine Position am Tisch eine Sonderstellung einnehme. Das käme einer O- oder Rechteck-Form gleich. Gebe es einen Moderator, werden die U-Form oder ein Halbkreis empfohlen.

Aus wissenschaftlicher Sicht mag all dies richtig sein. Jedoch ist fraglich, wer diese Vielfalt überblicken und welches Unternehmen sämtliche Details umsetzen kann. Dies machen sich Anbieter von Trainings und Workshops zunutze. Sie schulen Organisatoren von Meetings wie Teilnehmer – und liefern mit Sicherheit nützliche Tipps, um Meetings effektiv zu gestalten, sich in Meetings zu behaupten oder andere Ziele zu erreichen. Aber: Sie kosten noch mehr Zeit und Geld.

Ein simples Rezept

Das einfachste sowie wirksamste Rezept wird fast immer ausser Acht gelassen: zu fragen, ob das jeweilige Meeting wirklich notwendig ist oder ob die Problematik durch andere Kommunikation schneller, effektiver und stressfreier geklärt werden kann. Der Sinn aller Tipps steht und fällt mit dem Zweck des jeweiligen Meetings. Die besten Ratschläge bewirken nichts, wenn Konferenzen zum Selbstzweck werden oder einige Organisatoren ihre Daseinsberechtigung daraus ziehen. Wenn dies der Fall ist, dürfen Vorgesetzte sich nicht wundern, wenn Mitarbeiter sich mit Memes beschäftigen, um laut t3n die Wartezeit zu verkürzen.

Wer zeitraubenden Meetings entrinnen will, sollte „sich nicht an den Meetings selbst, sondern an dem defekten System zu schaffen machen, das dahinter liegt“, so der im Magazin Capital formulierte Klartext von Unternehmensberater Lars Vollmer. Wenn alle Beschränkungen der natürlichen Vernetzung innerhalb des Unternehmens beseitigt seien, werde es so gesund sein, dass niemand mehr ein Bedürfnis nach Meetings verspüre. Für Lars Vollmer sind Meetings „die letzte Bastion der Management-Cowboys, das Lagerfeuer der Wirtschaftszivilisation“. Sein Tipp für eine schnelle Besserung: Diesen Zusammenkünften einfach eine freiwillige Basis geben!

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