Die Nutzung künstlicher Intelligenz – vor allem eine Frage der Kultur

Bei der Nutzung künstlicher Intelligenz (KI) stehen Schweizer Unternehmen am Anfang. Das zeigen aktuelle Studien, zum Beispiel die Erhebung „Künstliche Intelligenz“ des Marktforschungsunternehmens MSM Research und Swisscom sowie die CEO Surveys der Unternehmensberatung PwC. Der Hauptgrund: In den Unternehmen herrscht ein Mangel an Wissen – und das, obwohl die Schweiz über viele KI-Experten verfügt. Ein unerklärliches Paradox? Mitnichten!

Wie die PwC CEO Surveys darlegen, erwarten 26 Prozent der Schweizer CEOs aufgrund von KI keine grossen Veränderungen in der Art, Geschäfte zu tätigen. Diese Ansicht teilen im weltweiten Vergleich lediglich 13 Prozent, während die Anzahl der CEOs, die eine signifikante Veränderung vorhersagen, global um 18 Prozent höher ist als in der Schweiz. Eine aktuelle Studie von Microsoft und Ernst & Young (EY) trifft eine ähnliche Aussage: „Mit 25 % gehören die Unternehmen in der Schweiz europaweit zum unteren Drittel, wenn es darum geht, einzuschätzen, ob KI in Zukunft einen hohen Einfluss auf ihre Branche haben wird.“ Der aufgeführten Studie „Künstliche Intelligenz“ zufolge ist für 47 Prozent der Befragten insbesondere der konkrete Benefit von KI-Lösungen für das eigene Unternehmen nicht ersichtlich.

KI braucht Daten

Dementsprechend tun sich Unternehmen hierzulande schwer, ein erfolgversprechendes zukünftiges Geschäftsmodell zu wählen, wie PwC argumentiert. „Rund 40 % der befragten Schweizer CEOs geben an, dass sie derzeit keine KI-Anwendungen planen. Weltweit sind es gerade mal 23 %. Weitere 23 % der Schweizer CEOs geben an, in den nächsten drei Jahren einen Plan für die Anwendung von KI zu erarbeiten, während 30 % bisher einen sehr begrenzten Ansatz wählten.“ Weniger als zehn Prozent haben KI implementiert.

Wo KI eingesetzt wird, hängt sehr von der Branche ab. Der Telekommunikationssektor ist am weitesten fortgeschritten, gefolgt vom Dienstleistungssektor und Finanzdienstleistungssektor, attestiert die Studie von Microsoft und EY. Die Schlusslichter bilden Life Sciences sowie die Konsumgüterbranche. Das liegt darin begründet, dass der Telekommunikationssektor und der Finanzdienstleistungssektor datengetrieben seien. Zudem verfügen sie weitgehend über die für KI-Anwendungen nötige Datenqualität und Analysetools. Dies gestalte es für Unternehmen dieser Branchen einfacher, Projekte zu entwickeln. Hingegen sei die Umsetzung von KI-Projekten in der Konsumgüterbranche, im Einzelhandel sowie bei den Life Sciences schwierig, weil es einen grossen Anteil an physischen Arbeitsprozessen gebe und die komplexen Daten oft unstrukturiert sowie in heterogenen Quellen vorliegen.

Fehlendes Know-how trotz Standortvorteilen

Neben der Verfügbarkeit von Daten gibt es aber noch andere Hintergründe für die geringe Nutzung von KI. PwC nennt zum Beispiel Vorbehalte gegenüber der Leistungsfähigkeit der Technologie oder eine kritische Einstellung. Ebenso spielen staatliche Fördermassnahmen eine Rolle. „Diese betreffen klare regulatorische Rahmenbedingungen und die Förderung von Bildung und Forschung.“ MSM Research sowie Swisscom führen internes fehlendes Know-how als Hemmfaktor an – noch vor hohen Kosten, Sicherheitsaspekten oder veralteter Legacy-IT. Die Expertise befindet sich also nicht in den Unternehmen, obwohl die Schweiz als ein Zentrum für künstliche Intelligenz betrachtet werden kann.

Google, eine Vorreiter der KI-Technologie, investiert hohe Summen in seinen Standort in Zürich, um seine Belegschaft von aktuell 2.500 Mitarbeitern um weitere 250 AI-Spezialisten zu vergrössern, heisst es im Blog der Marktanalysten von PAC. Forschungseinrichtungen wie die ETH Zürich, EPF Lausanne oder das IDSIA Lab in Lugano zählen zu den besten technischen Instituten in Europa und „sind grosse Anziehungspunkte für einige der klügsten Köpfe im KI-Bereich“.

Partnerschaften sind ein guter Ansatz

Um KI-Projekte künftig umzusetzen, haben Partnerschaften zu solchen Einrichtungen hohes Gewicht, so MSM Research und Swisscom. Unternehmen hätten dies bereits erkannt. Rund 47 Prozent nannten Hochschulen und Forschungsinstitute als wichtige Kooperationspartner. Auch existieren vielversprechende Beispiele, wie PAC darlegte. So entwickelte die Schweizer Versicherungsgesellschaft Bâloise im Rahmen einer Partnerschaft mit dem ETH-Spin-off Veezoo einen KI-gestützten virtuellen Assistenten und der Hersteller ABB pflege Partnerschaften mit Anbietern wie IBM, um ein KI-gestütztes System zu implementieren, das die Echtzeitanalyse von Produktionsprozessen ermöglicht und damit mögliche Montagefehler aufzeigt.

PwC benennt das Schaffen eines starken KI-Ökosystems als eine essenzielle Aufgabe. Dieses zeichne sich „durch ein starkes Netzwerk zwischen Wissenschaft, Wirtschaft mit Unternehmen und Start-ups sowie der Gesellschaft aus“. Damit ein solches Umfeld entstehen könne, brauche es wegbereitende politische Massnahmen und eine übergreifende Strategie. Möglichkeiten sieht PwC in der Arbeitsgruppe für künstliche Intelligenz, die der Bund 2018 ins Leben gerufen hat und die dem Bundesrat bis Herbst 2019 bestehende sowie neue Schritte aufzeigen soll.

Emotionale Intelligenz als Schlüssel

Doch das wird nicht ausreichen, um KI in die Unternehmen zu bekommen. Einen wichtigen Anhaltspunkt dafür liefern Microsoft und Ernst & Young. Ihrer Studie zufolge gibt es eine Korrelation zwischen der Reife von KI-Implementierungen in europäischen Unternehmen und der emotionalen Intelligenz ihrer Organisation. Diesbezüglich scheint es in der Schweiz Nachholbedarf zu geben. Denn die Unternehmen liegen falsch, wenn sie sich zwar hinsichtlich einer offenen Unternehmenskultur überdurchschnittlich kompetent einstufen, gleichzeitig aber nicht glauben, dass diese eine Schlüsselqualität für ihren Erfolg betreffend KI ist.

Nach Worten von Marcel Stalder, CEO EY Schweiz, müssen Führungsteams bereit sein zu erkennen, was sie noch nicht wissen. Sie benötigen Neugier und Risikobereitschaft zu erkunden, was diese neue Technologie leisten könne. KI erfordere Disziplin, „vor allem einen neuen Ansatz für die Bewirtschaftung von Daten, der oft von Grund auf neu konzipiert werden muss, um Geschäfts- und Kundenanforderungen zu lösen“. Die Einstellung beziehungsweise die Kultur sind also entscheidende Komponenten. Darauf weist auch ein Beitrag dazu in der Computerworld hin. Es brauche eine gewisse Offenheit zu experimentieren und Mut, bestehende Prozesse, Produkte sowie Services zu hinterfragen. Demzufolge bilde nicht die Technologie, sondern das Changemanagement die grösste Herausforderung.

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