Was der Ukraine-Krieg über die Lage der Arbeitswelt offenbart

Am Morgen, nachdem der russische Präsident Wladimir Putin die Ukraine angegriffen hatte, verstummten die Business-Nachrichten auf LinkedIn für eine Weile fast vollständig. Dann färbte sich Newsfeed um Newsfeed aufgrund der geposteten ukrainischen Flaggen und Solidaritätsbekundungen zunehmend blau-gelb. Das war der Auftakt von vielen Zeichen, die sich gegen den Krieg richten und auch die Situation in der Arbeitswelt widerspiegeln.

Dass Environmental Social Governance (ESG)-Kriterien, Verantwortung und Sinn im Job zunehmend mehr Relevanz erhalten, ist spätestens seit Beginn der Corona-Pandemie bekannt. Jetzt ist mit dem Krieg in der Ukraine noch deutlicher geworden, wie ernst diese Werte zu nehmen sind. Der Druck auf Unternehmen, ihre Geschäfte in und mit Russland auszusetzen, ist immens. Die Reaktionen von Tech-Grössen wie Elon Musk, Apple sowie Google auf die Bitte des stellvertretenden ukrainischen Ministerpräsidenten Mykhailo Fedorov um Hilfe setzten weltweit eine Lawine der Solidarität in Gang. Elon Musk schickte umgehend Starlink-Satelliten-Internetsysteme, damit die Ukrainer online bleiben konnten, Google deaktivierte Funktionen auf Google Maps, um die ukrainischen Bürger zu schützen und Apple setzte alle Produktverkäufe in Russland aus, wie die Washington Post berichtete. Ein Unternehmen nach dem anderen folgte ihnen und verstärkt den Druck auf diejenigen, die noch in Russland aktiv sind oder Geschäftsbeziehungen mit Menschen aus dem Land unterhalten, massiv.

In den Chefetagen jagt eine Krisensitzung die nächste. „Unternehmen fragen sich, wie weit geschäftliche Aktivitäten in Russland noch opportun beziehungsweise praktisch überhaupt noch umsetzbar sind“, so die Neue Zürcher Zeitung. Die Handelszeitung teilte mit: „Eine Schweizer Firma nach der anderen kehrt Russland den Rücken. Entweder weil die Unternehmen wegen Geschäften mit einer kriegstreibenden Nation einen Reputationsschaden befürchten, oder weil sie Sanktionen vermeiden wollen.“ Das betrifft Akteure sämtlicher Branchen und Grössenordnungen.

Vielfältige Unterstützung

Personalverantwortliche über den gesamten Globus waren von heute auf morgen mit der Frage konfrontiert, wie sie mit Personal vor Ort umgehen sollten. Viele nahmen alle Leistungsforderungen vom Tisch und fragten, auf welche Weise sie über eine Fortzahlung von Gehältern und der Unterstützung bei Visa-Anträgen hinaus helfen können, berichtete das Nachrichtenportal WinFuture. Einige Unternehmen wollten „sogar einen bewaffneten Schutz organisieren, um die Programmierer sicher aus dem Krisengebiet zu bekommen, was aber nicht angenommen wurde“. Stattdessen schickten Mitarbeiter „Arbeitsergebnisse aus einem verdammten Parkhaus in Charkiw unter schwerem Beschuss und Gewehrfeuer in der Gegend“. Vor ihnen verneigt sich fast die gesamte Welt – sowie vor dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Das Staatsoberhaupt, das sich Seite an Seite mit Soldaten und seinen Ministern zeigt, wird im Netz als Vorbild für Unternehmer gefeiert, informierte die Wirtschaftswoche. Nicht minder medienwirksam kämpft Dr. Wladimir Klitschko, Box-Champion und Dozent an der Universität St. Gallen, in Kiew gegen den russischen Einmarsch. Er appelliert an die Hilfsbereitschaft und das Verantwortungsgefühl der Menschen.

Jeder scheint mit seinen Mitteln aktiv zu sein. Die beiden ukrainischen Tech-Unternehmer Ivan Kychatyi und Nikita Overchyk haben eine Jobplattform entwickelt. „UA Talents“ soll Menschen aus der Ukraine helfen, schnell eine neue Beschäftigung zu finden, wie die Nachrichtenseite Business Insider bekannt gab. Weltweit offerieren Unternehmen Menschen aus der Ukraine Jobs und Unterstützung bei der Wohnungssuche. André-Martin Hobbs, Gründer von DecisioningIT, beispielsweise bot an, einem PHP-Entwickler, der aus der Ukraine flieht, zusammen mit seiner Familie ein neues Leben in Kanada zu ermöglichen. Er bezahle die Flugtickets, finde eine Unterkunft und stelle ihn als Vollzeitentwickler ein. Arbeitgeber rief er auf, dasselbe zu tun. Ebenfalls in immenser Anzahl bestimmen Berichte von Spendensammlungen sowie Hilfstransporten von Unternehmen das Geschehen auf LinkedIn und in internen Slack Channels. Das zeigt: Der Krieg berührt die Menschen und klammert die Arbeitswelt nicht aus – im Gegenteil!

Öffentlich Verantwortung übernehmen

Die eigene Qualifikation, das Know-how, die Kontakte und die Produkte der Unternehmen werden vielmehr als Mittel verwendet, um Menschen aus und in der Ukraine zu unterstützen. Doch nicht nur ihnen wollen sie helfen. Tech-Führungskräfte, Befürworter der Internetfreiheit und einige Social-Media-Experten sprechen sich nach Angaben der Washington Post auch dafür aus, der russischen Bevölkerung, die sich gegen den Krieg positioniert, zur Seite zu stehen. In jedem Fall findet die Diskussion um Ethik und Verantwortung öffentlich statt. Im Zentrum stehen immer die Menschen. Einer nach dem anderen muss Farbe bekennen.

Unternehmen, welche verstanden haben, dass Arbeit mehr bedeutet als Gelderwerb und entsprechende Werte in ihrer Unternehmenskultur etabliert haben, sind dabei jetzt diejenigen, die Orientierung geben sowie einen Unterschied machen. Es sind viele und täglich werden es mehr. Indem sie beispielhaft vorangehen, senden sie starke Signale, Werte wie Menschlichkeit, Verantwortung und Sinn in der Unternehmenskultur fest zu verankern. Dafür ist es jetzt auch für die noch Zögerlichen höchste Zeit.

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Autor: Renata Kratzer