Der Ruf nach Authentizität ist auch im Berufsleben deutlich zu vernehmen. Neun von zehn Befragten ist diese Eigenschaft am Arbeitsplatz wichtig. Das verdeutlicht eine Studie des Consulting- und Trainingsunternehmens ComTeamGroup. Ihm zufolge scheint es, „als hätte die beschleunigte Digitalisierung vor allem unserer Meeting-Kultur das Fenster des Sichtbaren weiter geöffnet“. Kinder und Haustiere seien in Video-Calls immer öfter Teil von Besprechungen und mit dem Arbeiten von zu Hause werden Kollegen über den Bildschirm nach Hause eingeladen. Diese Entwicklung bedeutet jedoch nicht automatisch, dass Unternehmen oder Organisationen beim Recruiting von Fach- und Führungskräften unverfälschter Echtheit besonders grossen Wert beimessen sollten.
Zwar bringt Authentizität tatsächlich Gutes mit sich. Allem voran führten die Studienteilnehmer an, von ihren Kollegen sowie Geschäftspartnern mitsamt ihren Haltungen, Einstellungen und Überzeugungen so wahrgenommen zu werden, wie es ihren Werten entspricht. Die Befragten sehen Vorteile für ihr Wohlbefinden und ihre Gesundheit, da sie sich nicht ständig mühevoll anpassen und Schutzmechanismen aufrechterhalten müssen. Insbesondere Führungskräfte betrachten Authentizität als Arbeitswerkzeug. Viele glauben, dass durch wahrhaftige Begegnungen Vertrauen entstehe. Authentizität wird als Voraussetzung für herausragende Leistungen gesehen. Denn wer sich in seinem Arbeitsalltag authentisch verhalten könne, lege mehr Engagement an den Tag, erlebe weniger Konflikte zwischen Beruf und Familie und fühle sich stärker mit seinem Arbeitgeber verbunden.
Jedoch gibt es auch Nachteile. Die Studie der ComTeamGroup nennt eine erschwerte Informations- und Entscheidungsbeschaffung von Mitarbeitern, die entsprechend ihren Grundüberzeugungen selbst entscheiden können, wann und wo sie arbeiten. Werden sie nicht verlässlich über Entscheidungen und Prozesse informiert, steige die Selbst-Entfremdung. Drei andere Gefahren hat Autor Adam Grant zusammengetragen. Zum Ersten ist es fehlendes Wachstum. Menschen, die starr an ihrem Selbst festhalten, laufen Gefahr, sich nicht weiterzuentwickeln und zu verändern. Zum Zweiten teilen diejenigen, die ihr wahres Selbst ausdrücken wollen, persönlichere sowie emotionale Inhalte in sozialen Medien – auch solche, die ihre beruflichen Beziehungen gefährden. Zum Dritten können sehr authentische Führungskräfte bei anderen Mitarbeitern Minderwertigkeitsgefühle hervorrufen. Diese wiederum beeinflussen die Arbeit negativ. Darüber hinaus darf nicht vergessen werden, dass Authentizität manchmal von Taktgefühl und einem kollegialen, wertschätzenden Umgang weit entfernt sein kann.
Essenziell für Unternehmen ist daher, Authentizität im Zusammenhang mit anderen Eigenschaften wie Teamfähigkeit zu betrachten. Adam Grant schlug vor, nach Aufrichtigkeit zu streben. Statt die inneren Überzeugungen in die äussere Welt zu bringen, sollten Menschen besser von aussen nach innen arbeiten. Das bedeute, auf die eigene Präsentation zu achten und sich darum zu bemühen, die Person zu werden, für die sich jemand ausgebe. Das führe dazu, dass Menschen ihr ideales Selbst werden wollen.
Ähnlich argumentiert Dr. Stefan Wachtel, Trainer für Führungskräfte sowie Buchautor und Vortragsredner. Er will einem Bericht der Wirtschaftswoche zufolge mit seiner Arbeit verhindern, dass „seine Kunden einfach losplappern und sich – allzu offen und wahrhaftig – um Kopf und Kragen reden.“ Wie er in einem Interview auf YouTube erklärt, hält er Authentizität zwar für wichtig. Jedoch genüge sie nicht. Es gelte vielmehr, die Rolle desjenigen zu integrieren, sodass etwas entstehe, das authentisch erscheine. Es handele sich um eine Mischung der eigenen Persönlichkeit und dessen, was die Rolle abverlange. Dabei geht es nach Worten von Dr. Stefan Wachtel darum, Menschen zu verbinden und Komplexes zu vereinfachen. Sein erster Ratschlag: „Lassen Sie Ihr Innerstes, wo es ist!“ Ausserdem sollten alle, die authentisch wirken wollen, überlegen, welche Erwartungen die Mitmenschen an sie haben. Nicht zuletzt gelte es zu fragen, wie viel Authentizität die anderen überhaupt vertragen können. Vieles von dem, was Menschen mitbringen, sei nicht zumutbar. Seine Kernbotschaft: „Das Authentische ist Ergebnis professioneller Arbeit.“
Daher sind Unternehmen trotz aller Trends gut beraten, Fach- und Führungskräfte zu suchen und auszuwählen, die verschiedene wichtige Eigenschaften in sich vereinen. Denn Mitarbeiter, die in erster Linie nicht ausschliesslich sich selber, sondern auch ihre Umwelt sehen und bestmöglich mit ihr interagieren wollen, sind bereit zu lernen, sich weiterzuentwickeln sowie zu wachsen – eine essenzielle Komponente in der sich rasant wandelnden Welt. Sie gehen mit gutem Beispiel voran. Sie überzeugen und begeistern Kollegen, wirken authentisch und verhelfen dem Unternehmen damit zum Erfolg. Diese Eigenschaften gilt es zu identifizieren und im Personalauswahlprozess systematisch zu hinterfragen. Dabei unterstützen wir Sie gern mit unserer Expertise.
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Autor: Roger Nellen