Ärzte, Erzieher, Apotheker, Kranken- und Altenpfleger, Verkäufer, Paketboten, Lkw-Fahrer – Beschäftigte in sogenannten systemrelevanten Berufen sind binnen weniger Tage zu Helden geworden. Sie erhalten Anerkennung für ihre Arbeit und um ihre Entlohnung ist eine Grundsatzdebatte entflammt. Daneben gibt es Diskussionen darüber, was Systemrelevanz ist. Der Techniker, der IT am Laufen hält, möchte genauso als systemrelevant wertgeschätzt werden wie ein Angestellter im Büro, der Steuern zahlt, die zur Unterstützung von in Not geratenen Unternehmen verwendet werden. Diese Beispiele zeigen: Sinnhafte Arbeit besitzt gegenwärtig einen sehr hohen Stellenwert. Dies wiederum hat Konsequenzen für Unternehmen jeglicher Art.
Sinnvolle Jobs waren bereits vor der Corona-Pandemie stark gefragt. So zeigte die XING-Gehaltsstudie 2019, dass 62 Prozent der Arbeitnehmer in der Schweiz für mehr Sinn im Job ein geringeres Gehalt akzeptieren würden. Überdies wäre jeder Zehnte bereit, für eine Arbeit mit gesellschaftlicher Relevanz den Arbeitsplatz zu wechseln, wie im Beitrag „Digitale Transformation zwischen sinnlosen Jobs und Purpose Economy“ dargelegt ist. Immer mehr Firmen beschäftigten sich mit der Sinnfrage – dem Purpose. Autor Aaron Hurst, der das Phänomen in seinem 2014 veröffentlichten Buch „The Purpose Economy“ beschreibt, war der Meinung, dass die Sinnökonomie innerhalb der nächsten 20 Jahre die Informationsgesellschaft ablösen wird, berichtete das Wirtschaftsmagazin Capital. Damit scheint er eine gute Prognose abgegeben zu haben. Möglicherweise könnte dieser Wandel sogar noch früher eintreten.
Denn nun werden die bestehenden Sinn-Tendenzen weiter verstärkt, wie unter anderem Robindro Ullah, Buchautor, Referent, Moderator und Geschäftsführer der Trendence Institut GmbH, bemerkt. Es vergehe kaum ein Tag, an dem die systemrelevanten Berufe nicht in der Berichterstattung erwähnt werden. Ihre Präsenz sei deutlich gestiegen. „Was Arbeitgeber sich während dieser Krise bewusst machen müssen, ist, dass die Einschnitte in das Leben jedes Einzelnen/ jeder Einzelnen so gravierend sind, dass Effekte auch nach der Krise noch spürbar sein werden“, so Robindro Ullah. Bereits jetzt wünsche sich jeder 4. Studierende in Deutschland nach dem Studium einen systemrelevanten Job bzw. in einem systemrelevanten Bereich zu arbeiten, so der HR Corona Monitor der Trendence Institut GmbH. In der Schweiz dürfte dies nicht wesentlich anders sein. Der Rat von Robindro Ullah: „In einer langfristigen Betrachtung sollten wir auch die Veränderungen im Mindset der gesamten arbeitenden Bevölkerung berücksichtigen. Die Wahrnehmung von Arbeit verändert sich derzeit. Diese Veränderungen werden nachhaltig die Art und Weise beeinflussen, wie wir zukünftig rekrutieren und uns auch zukünftig als Arbeitgeber aufstellen werden.“
Die Veränderung ruht natürlich nicht allein auf den Schultern des Begriffes „systemrelevant“, wie der Referent ebenfalls hervorhebt. Zu berücksichtigen ist, dass die Entdeckung vermeintlich systemrelevanter Berufsgruppen einem gefährlichen Fehlverständnis unterliegt, wie Persoblogger Stefan Scheller schreibt. Seine Argumentation: „Berufsgruppen werden in der aktuellen Corona-Krise stark schwarz-weiss betrachtet.“ Die Einschätzung, wer systemrelevant sei, sei stark kontextbezogen und habe auch eine zeitliche Komponente. Deshalb müsse das Thema ganzheitlich betrachtet werden. „Denn in Zeiten des globalen Turbokapitalismus haben wir als Gesellschaft durchaus an der einen oder anderen Stelle die Orientierung verloren“, erläutert Stefan Scheller.
Damit sind zum Beispiel auch der Klimawandel und der Umgang mit Rohstoffen gemeint sowie die Produktionsbedingungen entlang der Lieferketten. Sie sind derzeit aufgrund der Bedrohung durch das Corona-Virus in den Hintergrund gerückt – jedoch nicht obsolet geworden. Sie werden wieder stärker Thema werden. Was dann bleibt, ist die gesellschaftliche Verantwortung. Auf welche Weise und wie schnell daraus resultierende Herausforderungen bewältigt werden können, demonstrieren viele Unternehmen aktuell, indem sie zum Beispiel ihre Produktion umgestellt haben und unter anderem Masken, Teile für Beatmungsgeräte sowie diverse Schutzausrüstung herstellen. Der Erfolg, ihr Geschäft in dieser Zeit aufrecht erhalten zu können und die Wertschätzung, die sie erhalten, geben ihnen Recht. Zudem zeigt diese Resonanz, dass jetzt eine sehr gute Chance besteht, die Unternehmenskultur weiterzuentwickeln. Gleichermassen ist dies eine Notwendigkeit. Denn wie Robindro Ullah im Vorwort des HR Corona Monitor formuliert: „Wer jetzt noch glaubt, er oder sie könne in diesem Paradebeispiel einer VUCA-Welt zum alltäglichen HR Management übergehen, hat weit gefehlt.“
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Autor: Roger Nellen