Sicher ist sicher: Im Job heisst es zuerst „Sie“ – nicht „Du“

Der Satz „You can say you to me“ ist Stoff von Legenden. Unabhängig davon, welcher deutschsprachige Politiker das zu welchem englischsprachigen Kollegen gesagt haben soll, zeigt dies: Die Form der Anrede ist nicht selbstverständlich. Während in einigen Unternehmen erst nach Wochen oder Monaten oder gar nicht zum „Du“ gewechselt wird, wird in anderen Firmen von Anfang an jeder geduzt – ob Kunde, Partner, Mitarbeiter oder Bewerber. Einige mischen die Anreden sogar. Doch was bedeutet das für Unternehmen, was ist optimal?

Das Duzen scheint ein Trend zu sein. Zunächst hauptsächlich in bestimmten Berufsgruppen gang und gäbe, breitete sich diese Anrede über soziale Netzwerke aus. Ob getrieben durch den zunehmenden Gebrauch der amerikanischen Sprache oder einen Kulturwandel, wie ihn Kolumnist „Rezo“ in der ZEIT beschreibt: „In sozialen Medien ist das Du die Konvention und viele User empfinden daher das Sie als konstruiert und unnötig distanziert. Kurz gesagt: als unhöflich.“ Das „Du“ soll Gleichwertigkeit ausdrücken. Unternehmenswerte, die damit korrelieren, sind flache Hierarchien, eine familiäre sowie moderne Atmosphäre. Daher ist „Du“ in fast jedem Start-up Standard. Aber auch Unternehmen, die ihre Kultur transformieren wollen, greifen darauf zurück. In ihrer Kommunikation duzen sie, um das gewünschte Image zu transportieren – in Newslettern, auf der Website oder in Stellenanzeigen, manchmal ausschliesslich in Letzteren.

Fragwürdige Wirkung

Das kann zum Beispiel der Fall sein, wenn ein Unternehmen gezielt junge Bewerber ansprechen möchte oder wenn die „Verdienstmöglichkeiten eher bescheiden sind“, wie auf dem Portal karriereakademie.de erläutert ist. Eine Absicht könnte auch darin bestehen, die Kandidaten zu mehr Offenheit zu animieren und mehr über sie zu erfahren. Denn ein Kennzeichen des Duzens im Job liegt nach Angaben des Job- und Karriereportals Karrierebibel darin, dass dadurch so mancher verleitet wird, „zu viel private Dinge am Arbeitsplatz auszuplaudern“.

Die beabsichtigte Wirkung stellt sich jedoch nicht immer ein. Das trifft etwa zu, wenn in der Stellenanzeige „Du“ verwendet wird und der Bewerber im Vorstellungsgespräch gesiezt wird, eine distanzierte Atmosphäre vorfindet und starre Hierarchien entdeckt. Dann ist das „Du“ nicht authentisch, die Candidate Journey erhält negative Aspekte. Das kann zudem der Fall sein, wenn konsistent geduzt wird, die Zielgruppe dies jedoch als unhöflich, distanz- oder respektlos empfindet. „Das Du suggeriert eine Nähe, zu der nicht jeder bereit ist“, schreibt Michael Schellberg in seinem Freiherr-Knigge-Blog. Ähnlich lautet eine Formulierung der Online-Stellenbörse Jobs.de: „Viele erfahrene Bewerber, die in einer Siezkultur Karriere gemacht haben und eine respektvolle Anrede gewohnt sind, tun sich schwer mit einer hippen Startup-Mentalität.“

Individuelle Entscheidungen hoch im Kurs

Eine Studie von Haufe bestätigt, dass ein solches Empfinden weit verbreitet ist: „Weder in der Stellenanzeige noch im Einstellungsinterview präferieren die Befragten ein Duzen der Bewerber.“ Dies gelte für Azubis/Praktikanten genauso wie für Mitarbeiter und Führungskräfte. Sie wollen weder mit „Du“ angesprochen werden, wenn sie Bewerber sind, noch möchten sie gerne das „Du“ verwenden, wenn Sie Interviewer wären. Und: „Je älter die Befragten sind, desto kritischer stehen sie einem Duzen im Bewerbungsprozess gegenüber.“ Unreflektiert eingesetzt könne das Duzen im Personalmarketing mehr Schaden anrichten, als dass es Nutzen bringe.

Was die Anrede im Unternehmen betrifft, so findet Haufe zufolge „ein Modell, bei dem der Arbeitgeber nicht vorgibt, ob man sich im Haus grundsätzlich duzen oder siezen muss“ die stärkste Zustimmung. Die Mitarbeiter bevorzugen eine Kultur, in der sie selbst entscheiden können, wen sie duzen und wen sie siezen wollen. Kurz: „Die Probanden stehen einer verbindlichen Anrede-Kultur, bei der ein Arbeitgeber vorgibt, dass sich alle duzen oder siezen müssen, sehr skeptisch gegenüber. Dies gilt gleichermassen für die Kommunikation innerhalb des Unternehmens als auch für die Kommunikation mit Kunden.“

Konventionen haben Bedeutung

Daraus ergibt sich: Trotz des Trends zum „Du“ sollten die Beteiligten beim ersten Kontakt und im Zweifel auf das Förmliche „Sie“ setzen, so die Arbeitgeberbewertungsplattform Kununu. Auch der Duden rate, bei nicht eindeutiger Sachlage auf diese Anrede zurückzugreifen. Der Schlüssel zu einer gelungenen Anrede sei Respekt. Das „Sie“ garantiere ihn nicht und das „Du“ untergrabe ihn nicht.

Bei weiteren Unklarheiten helfen Etiketten. Sie geben Orientierung, wer wem das „Du“ anbieten darf – etwa der Vorgesetzte dem Mitarbeiter oder der ältere Kollege dem jüngeren. Ein weiterer Grundsatz lautet, dass sich derjenige, der neu ist, anpasst. Dabei hilft fragen, um in Erfahrung zu bringen, was üblich ist. „Rezo“ hat es passend formuliert: „Konventionen sind nun mal für den sozialen Umgang wichtig, wir brauchen sie, um zu verstehen, was wir voneinander denken und einander sagen wollen.“

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Autor: Roger Nellen