Ob es um das Bilden von Teams oder Neueinstellungen geht – angesichts spezieller Anforderungen an immer mehr Positionen wächst in Unternehmen der Wunsch, Kandidaten vor der Besetzung der jeweiligen Stelle umfassend beurteilen zu können. Immerhin kann eine falsche Entscheidung vor allem in Bezug auf Führungspositionen fatale Folgen haben und oft hat es den Anschein, dass für eine zuverlässige Bewertung fast schon kriminalistisches Gespür erforderlich ist. Tatsächlich hat eine Methode dafür etwas mit Kriminalistik zu tun – das Profiling.
Grundsätzlich gibt es verschiedene Arten von Profiling, die für Personaler von Bedeutung sind. Die berufliche Variante beschreibt die Analyse der relevanten Merkmale der Kandidaten in Verbindung mit den Anforderungen der zu besetzenden Stelle. Zu den aussagekräftigen Faktoren zählen, wie auf Wikipedia zusammengefasst ist, Wissen, Kompetenzen, Ressourcen, kognitive Fähigkeiten, berufliche Motivation und Potenziale. Das Candidate Profiling nähert sich Wikipedia zufolge an die Lebenswelt geeigneter Kandidaten an. Dabei spielen verschiedene Lebensphasen eine Rolle, Lebensentwürfe und Lebenswelt werden berücksichtigt. Darüber hinaus sind dort, wo ein exakter, objektiver Abgleich des Stellenprofils mit dem Kandiatenprofil gefordert ist, kriminalpsychologische Aspekte der Verhaltensbeurteilung gefragt, berichtet die Autorengemeinschaft PRkonkret.
Das bedeutet nicht, wie Kommissare im Fernsehen zu ermitteln, sondern vielmehr, bestimmte Erkenntnisse auf die HR zu übertragen. Dies kann äusserst zielführend sein. Denn dem Bericht von PRkonkret zufolge vermittelt Kriminalpsychologe und Autor Thomas Müller als Redner Botschaften mit Schlüsselwirkung. Dazu gehört, nie dem eigenen Urteil zu vertrauen, viele Seiten zu betrachten, interdisziplinär zu arbeiten und so viele Menschen wie möglich zu befragen. „... objektiv wird die Beurteilung erst dann, wenn der Personalprofi sich derselben Sache von unterschiedlichen Seiten nähert: ‚Ein CV sagt manchmal halt sehr wenig über das Einfühlungsvermögen und die Resilienz eines Menschen aus, die Art wie er sein Auto einparkt vielleicht schon‘, so Müller, ‚der Schmuck, den Sie tragen, das Auto, das Sie fahren, ja die Art, wie Sie Ihren Schreibtisch um 18.30 Uhr am Abend zurücklassen, sind scheinbar unwichtige Details; in der Regel beinhalten Sie aber mehr Informationen über die Persönlichkeit als ein ausgefüllter Lebenslauf‘“. Verhalten sei immer bedürfnisorientiert.
Solche Einsichten können sich Personaler zunutze machen, sie müssen allerdings wissen, auf welche Weise. Der beste Weg wäre, Profiling-Experten hinzuzuziehen, die Kandidaten durchleuchten. Doch auch selber können sie sich schon gut absichern, wenn sie wichtige Erkenntnisse beherzigen. Daher besteht der erste Schritt darin, sich solches Wissen anzueignen. Geeignete Möglichkeiten für fast jedes Unternehmen sind die Teilnahme an Vortragsveranstaltungen, Seminaren und Workshops von Wirtschaftsprofilern.
Ein zweiter Schritt setzt sich aus dem Zusammentragen aussagekräftiger Faktoren und Überlegungen, wie diese an welcher Stelle im Recruitingprozess ermittelt werden können, zusammen. Konkrete Massnahmen sind das Anfordern eines Motivationsschreibens sowie das Ausfüllen von Fragebögen beziehungsweise Selbsteinschätzungstests. Dabei muss beachtet werden, dass deren Ergebnisse bestenfalls die Sichtweise des Kandidaten zu seinen Eigenschaften widerspiegeln. Sogar die Handschrift in Form der Unterschrift lässt Rückschlüsse auf die Person zu.
Diese theoretischen Eindrücke sollten unbedingt mit der persönlichen Einschätzung und den Urteilen anderer abgeglichen werden. Dafür geeignet sind Aufgaben im Assessment-Center. Dort lässt sich ein Bild davon gewinnen, wie sich welcher Kandidat in Gruppen und in Stresssituationen verhält, welche Umgangsformen er an den Tag legt und wie er kommuniziert. Agiert er sozial und bindet auch bei Termindruck Teammitglieder respektvoll ein? Mit welchen Worten und in welchem Tonfall drückt er sich in welcher Situation aus? Ist die Sprache (ab)gehoben, angemessen oder eher rüde? Wie bewegt sich der Kandidat? Tritt er selbstsicher oder unsicher auf? Ist er ruhig oder nervös?
Eine weitere gute Gelegenheit sind persönliche Gespräche – ob im Rahmen des Jobinterviews oder bei einem gemeinsamen Essen. Wichtig ist, Verstärkung dabeizuhaben, möglichst aus anderen Abteilungen, die andere Perspektiven haben. Dies stellt einen Schutz dar, um sich nicht von eventuell manipulativem psychopathischen Verhalten täuschen zu lassen, erklärt Wirtschaftsprofilerin Suzanne Grieger-Langer in einem Vortrag. Denn wenn ein Psychopath mehreren Menschen gegenübersitzt, kann er sich nicht auf einen einschiessen und es ist leichter, ihn zu enttarnen. Darüber hinaus gilt es, Kleidung inklusive Accessoires, Körpersprache, Wortwahl sowie Verhalten bewusst wahrzunehmen. Ergänzend dazu können Visionen und Werte thematisiert werden, um zu schauen, inwieweit sie mit dem gezeigten Verhalten korrespondieren.
Im weiteren Verlauf des Recruitingprozesses müssen dann die richtigen Schlüsse gezogen werden. Nach Worten von Suzanne Grieger-Langer lautet ein wichtiges Gebot: Jemand mit Substanz ist nicht zu perfekt. Kurzum: Jeder gesunde Mensch hat Stärken und Schwächen. Am besten lässt sich das Verhalten einer Person beurteilen, wenn mehrere Menschen zum Vergleich zur Verfügung stehen. Wie beim Interview sollten in eine Entscheidung Fachkräfte aus verschiedenen Bereichen einbezogen werden, zum Beispiel aus der Personal- und aus der Fachabteilung. Denn ein Personaler achtet auf andere Aspekte als ein Kollege aus der Fachabteilung. Somit werden unterschiedliche Felder abgedeckt und die Bedeutung einer möglichen Fehleinschätzung wird relativiert. Denn letztlich ist das Profiling nur eine zusätzliche Möglichkeit, um etwas über einen Bewerber zu erfahren. Im Weiteren geht es darum, das erkannte Potenzial zu entwickeln und nutzen, sowie Schwächen zu mindern oder zu neutralisieren.
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Autor: Jasmine Grabher