Motivation versus Erfahrung? Personalentscheidungen sind komplex

Entscheidungen zur Stellenbesetzung haben für Unternehmen und Organisationen erfolgskritische Bedeutung. Dementsprechend gross ist das Bestreben, die besten Fachspezialisten und Führungskräfte einzustellen. Das zeigt sich in engagierten Diskussionen, zum Beispiel im Businessnetzwerk LinkedIn. Doch das Fazit ist ein individuelles Rezept.

Fast 20.000 Likes und mehr als 1.100 Kommentare sind die Reaktion auf einen LinkedIn-Beitrag von Michael Prothmann. Darin schreibt der CEO einer Unternehmensberatung, dass er einen Top-Bewerber mit Summa-cum-laude-Dissertation, exzellentem Job Record und besten Empfehlungen abgelehnt hat. Stattdessen habe er einen jungen Quereinsteiger mit Motivation eingestellt, der nicht genau auf das Jobprofil des gesuchten Projektleiters passte. Das Ergebnis: „Das Projekt lief super, der Kunde war hoch zufrieden und wir haben bereits einige Folgeaufträge.“ Michael Prothmann habe gelernt, „dass Motivation und Persönlichkeit wichtiger sind als Fachkompetenz und Erfahrung.“

Weitreichende Zusammenhänge

Die Kommentare sind kontrovers und reichen von kompletter Zustimmung bis hin zu Ablehnung. Der allgemeine Tenor: Der Post sagt in seiner kurzen Form nicht viel aus. Zum Beispiel gibt Dr. Yu-Hui Liu, Manager bei EY, zu bedenken: „Dennoch wissen Sie nicht, ob das Projekt mit dem anderen Kandidaten nicht mindestens genauso gut oder besser gelaufen wäre.“ Zudem spielen weitere Aspekte in die Thematik hinein, wie am Hinweis von Astrid Birkholz, Etat-Direktorin einer Kommunikationsagentur, deutlich wird. Sie schreibt, sie erlebe oft, „dass es für gut ausgebildete Mitarbeiter mit langjähriger Berufserfahrung sehr schwer ist, einen adäquaten Job zu finden. Gerade weil junge, ambitionierte und im Zweifel auch günstigere Mitarbeiter lieber genommen werden“. Sie fragt: „Ist eine hohe Fachkompetenz zu besitzen nicht auch ein Zeichen von grosser Motivation?“

Was noch wichtiger ist

Tatsächlich geht hohe Fachkompetenz mit Motivation einher – Erfahrung jedoch nicht. „Es ist ein weitverbreiteter Irrglaube: Wenn man etwas nur lange genug macht, wird man mit der Zeit immer besser. Aber kann das wirklich so einfach sein und steigt mit mehr Erfahrungen automatisch die Kompetenz? Leider nein, denn selbst aus jahrelanger Erfahrung entstehen nicht zwangsläufig grösseres Wissen und bessere Fähigkeiten…“, erklärt Nils Warkentin auf dem Portal Karrierebibel. Dies belegt er mit einer Studie der Wirtschaftspsychologen Uwe Peter Kanning und Philipp Fricke. Sie untersuchten, „inwieweit Erfahrungen als Führungskraft eine Person automatisch darin kompetent werden lassen“. Eines der zentralen Ergebnisse: „Der Punkt Führungsfähigkeit fiel bei Führungsanfängern deutlich besser aus als bei alten Hasen.“ Somit nimmt Erfahrung keine Schlüsselrolle ein. Vielmehr sind es die Bereitschaft und Fähigkeit, Neues zu lernen. Dies muss auch nicht schwer sein.

Insbesondere in Berufen der Zukunft spielt Training on the job eine grosse Rolle, erläutert Kristin Keveloh, Senior Manager Public Policy and Economic Graph bei LinkedIn. Dies sei unter anderem deshalb der Fall, weil die Nachfrage in diesen Bereichen aktuell sehr hoch sei und Arbeitgeber flexibler sein müssen als in anderen Bereichen. Die gegenwärtige Situation habe die Entwicklungen beschleunigt. Damit hat sie auch dem lebenslangen Lernen zusätzliche Bedeutung verliehen, wie aus unserem Blogbeitrag „Coaching und selbstorganisiertes Lernen – zwei Schlüssel zum Erfolg“ hervorgeht. Um diesen Instrumenten zu Wirksamkeit zu verhelfen, ist Motivation essenziell. Jedoch bedeutet sie nicht alles. Genauso kommt es auf die Strategien zur Umsetzung sowie die Umsetzungsfähigkeit an.

Das Aussergewöhnliche – ein Weg zum erwünschten Effekt

Allein dies verdeutlicht: Die Auswahl des passenden Personals ist ein komplexes Thema, für das es kein Patentrezept gibt. Vielmehr hilft es, die jeweiligen Auswahlkriterien individuell und realistisch zu definieren. Dazu zählen auch Soft Skills. Bewerbungsgespräche sollten mit klaren Strukturen gezielt gestaltet und professionell geführt werden, um etwa Wahrnehmungs- und Beurteilungsfehler zu vermindern. Das bedeutet zudem, genügend Zeit sowie Mitarbeiter dafür einzuplanen. Dies illustriert ein Beispiel von Apple, wo Bewerbungsgespräche der Nachrichtenseite Business Insider zufolge „schon einmal den ganzen Tag lang dauern“ konnten. Es habe Vorstellungsgespräche gegeben, „die um neun oder zehn Uhr morgens begannen und bis nach dem Abendessen dauerten, weil der Bewerber mit jedem Mitarbeiter im Gebäude mindestens einmal sprechen sollte“. Ausserdem ist für erfolgreiche Stellenbesetzung auch eine sorgfältige Nachbereitung von Jobinterviews und Einstellungen erforderlich, die sich wiederum bis hin zur Vorbereitung erneuter Verfahren erstreckt.

Erst wer den Standard kennt, kann bewusst davon abweichen und die Basis dafür schaffen, dass der Mut, sich für das Aussergewöhnliche zu entscheiden, zu wiederholbaren Ergebnissen führt. Im Falle von Apple suchten die Entscheider nach Angaben von Business Insider übrigens nach einer speziellen Eigenschaft: nicht nur Motivation, sondern wirkliche Leidenschaft und Begeisterung sowohl für die Arbeit als auch die Produkte. Was ist Ihnen besonders wichtig? Welche Fachspezialisten und Führungskräfte wollen Sie?

Lassen Sie uns Ihre Erfolgsfaktoren gemeinsam herausarbeiten und realisieren!

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Autor: Roger Nellen