Klare Strukturen mindern Wahrnehmungs- und Beurteilungsfehler

Interviews bilden ein zentrales Instrument für die Personalauswahl – ob in Bewerbungs- oder Beurteilungsgesprächen. Doch sie sind fehleranfällig. Es warten Irrtümer bei der Wahrnehmung und bei Schlussfolgerungen, da das menschliche Gehirn zu Vereinfachungen neigt. Diese Fehler wiederum können zu schlechten Entscheidungen führen. Doch es gibt auch eine gute Nachricht: Wer sich der Risiken bewusst ist, kann sie eher vermeiden.

Phänomene mit Namen

Welche Fehler in Jobinterviews, Jahresgesprächen und anderen Beurteilungssituationen warten, ist gut erforscht. Die Manufaktur für Wachstum, Anbieter von Leadership und Collaboration Coaching, beispielsweise hat die häufigsten von ihnen beschrieben. Dabei handelt es sich um folgende Erscheinungen:

  • Halo-Effekt / Heiligenschein-Effekt

Einzelne positiv oder negativ wahrgenommene Merkmale werden unbewusst verallgemeinert und überstrahlen das Gesamtbild der Person.

  • Primär-Effekt

Dieses psychologische Gedächtnisphänomen beschreibt die Tatsache, dass sich das Gehirn an früher eingehende Informationen besser erinnert als an spätere. Die späteren Wahrnehmungen werden so gewertet, dass sie den ersten Eindruck nachhaltig stützen.

  • Rezenz-Effekt/ Nikolaus-Effekt

Hierbei erhalten später eingehende Informationen stärkeres Gewicht. So bekommt das zuletzt Gehörte besondere Aufmerksamkeit. „Ereignisse kurz vor einem Personalgespräch wirken stärker auf die Beurteilung als Ereignisse, die länger zurückliegen“, so die Manufaktur für Wachstum.

  • Kleber-Effekt

Er ist auch bekannt als Klebe-Effekt oder Status-quo-Effekt und besagt, dass die Beurteilungsgeschichte eines Angestellten die Sicht des Beurteilenden prägt. Eine mögliche Folge: Wer zu lange in einer bestimmten Position bleibt, wird nicht mehr befördert.

  • Hierarchie-Effekt

Mitarbeiter, die in der Hierarchie höher stehen, werden besser bewertet als Mitarbeiter in unteren Hierarchie-Ebenen.

  • Milde-/Strenge-Effekt

Dieser Fehler steht in Zusammenhang mit dem Anspruchsniveau der beurteilenden Führungskraft. Während der eine zu einer zu milden Beurteilung neigt, tendiert ein anderer zu einer unangemessenen Strenge.

  • Pygmalion-Effekt

Dieses Phänomen wird auch als sich selbst erfüllende Prophezeiung oder Rosenthal-Effekt bezeichnet. Es beschreibt die Auswirkungen der Erwartungshaltung. Der Handelnde passt sein Verhalten unbewusst an das Ergebnis an, das er erwartet. Somit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sich der andere entsprechend dieser Erwartungshaltung verhält.

  • Projektion

Der Beurteilende überträgt Eigenschaften, die er an sich selber mag oder nicht mag, unbewusst auf das Gegenüber. Dadurch schätzt er zum Beispiel Menschen, die Gemeinsamkeiten aufweisen, positiver ein.

  • Stereotype
  • Dabei werden Personen in verschiedene Kategorien eingeordnet – und ihre Eigenschaften mit vermeintlich passenden Informationen ergänzt. Dies ist eine Sparmassnahme des Gehirns, die dazu dient, Komplexität zu reduzieren. Sie wird jedoch der Eigentümlichkeit von Menschen nicht gerecht.
  • Benjamin-Effekt
  • Er beschreibt den Umstand, dass Beschäftigte, die jung sind und eine Position erst seit kurzer Zeit innehaben, eine schlechtere Beurteilung erhalten als ältere, erfahrene Mitarbeiter – nach dem Motto: „Der ist noch viel zu jung, um zu wissen, wie das funktioniert.“
  • Angst

Aus Angst vor Diskussionen oder Konfrontationen wird gar nicht oder unentschlossen – mit einer Tendenz zur Mitte – gehandelt.

  • Aufmerksamkeitsfehler / Selektive Wahrnehmung
  • Dabei konzentriert sich die Wahrnehmung auf bestimmte Merkmale, die im Moment wichtig erscheinen. Andere werden mehr oder weniger ignoriert.

Durchdachtes Vorgehen als Lösung

Trotz der Vielfalt dieser Bezeichnungen folgen Lösungsansätze für die Problematik ähnlichen Prinzipien. Die Manufaktur für Wachstum rät unter anderem, die Selbstreflexionsfähigkeit zu erhalten und andere Perspektiven einzunehmen. Die eigene Wahrnehmung sollte häufiger dokumentiert, Beobachtung und Bewertung müssten getrennt werden. Für die Beurteilung seien standardisierte Beurteilungsbögen sinnvoll. Wie wichtig die Standardisierung allgemein ist, erläutert Personalexperte Thomas Wachter. Demzufolge sollte nicht nur der Beurteilungsbogen besonders strukturiert sein, sondern auch das jeweilige Interview. Es komme darauf an, die Situation „so zu gestalten, dass möglichst klare Beobachtungen zur Eignung möglich sind“.

Dafür gibt Thomas Wachter nützliche Empfehlungen. Zum Ersten müsse das Interview auf die konkrete Stelle ausgerichtet sein. Dafür gelte es, zentrale Aspekte für die optimale Erfüllung der Aufgaben herauszuarbeiten, in einem Anforderungs- bzw. Kompetenzprofil abzubilden und die Bewerberinterviews an diesen Anforderungen auszurichten. Als Zweites sollten so genannte Verhaltensdreieckfragen und Simulationsfragen einbezogen werden. Verhaltensdreieckfragen beziehen sich auf konkrete Situationen, die der Bewerber erlebt hat. Er wird aufgefordert, solche zu beschreiben, sein Vorgehen darzulegen und das Ergebnis sowie gegebenenfalls seine Learnings daraus zu erörtern. Bei Simulationsfragen ist nicht das vergangene Verhalten Thema, sondern das Verhaltensrepertoire, über das der Bewerber verfügt. Der Interviewer erkundigt sich danach, wie der Kandidat in bestimmten Situationen handeln würde. Die Fragen sollten sorgfältig ausgewählt werden und die späteren Herausforderungen der Stelle abbilden. Das dritte Erfolgselement bestehe dann darin, „das Interview so weit zu standardisieren, dass Bewerbende direkt verglichen werden können“. Im Idealfall führen zwei Personen die Interviews: Während ein Mitarbeiter frage, beobachte der Kollege und mache sich Notizen.

Übung macht den Meister

Ein professioneller Ablauf eines solchen Verfahrens ist keine Raketenwissenschaft, sondern eine Übungssache. Deshalb kann es für HR-Mitarbeiter und Führungskräfte, die Interviews mit Bewerbern und Mitarbeitern nicht oft führen, sinnvoll sein, sich externe Unterstützung zu holen, zum Beispiel von Personalberatern. Bei ihnen gehören Jobinterviews zum Alltag. Somit verfügen sie zusätzlich zum Fachwissen auch über die erforderliche Erfahrung im Vermeiden von Beobachtungs- beziehungsweise Beurteilungsfehlern. Fragen Sie uns!

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Autor: Jasmine Grabher