Human Leadership: „Chefs mit Herz“ führen in unsicheren Zeiten besser

Arbeitnehmer eint über Grenzen hinweg die Sehnsucht nach menschlich agierenden Vorgesetzten. Diese Eigenschaft ist ihnen wichtiger als Tatkraft und Intellekt. In den Führungsetagen der Unternehmen verhält es sich hingegen andersherum: Dort werden Intellekt und klares Handeln gefordert, gefolgt von Tatkraft. Das „Herz“ bekleidet den letzten Platz. Das ergab eine Untersuchung der Unternehmensberatung Boston Consulting Group. Doch was bedeutet das und welche Schlüsse sollten Unternehmen daraus ziehen?

Die „Herz-Qualitäten“ bezeichnen der Studie zufolge Fähigkeiten wie das Zuhören, Einfühlungsvermögen und die Förderung des Teamgeists. Im grossen Ganzen sind sie jedoch noch mit weitaus mehr Aspekten verbunden – und zwar denen, die unter dem Begriff „Human Leadership“ beschrieben werden. Im Grunde geht es darum, dass in einer zunehmend schnelllebigen Zeit die Rolle der Führung zum Teil infrage steht, wie Marcus Raitner seinem „Manifest für menschliche Führung: Sechs Thesen für neue Führung im Zeitalter der Digitalisierung“ vorausschickt. In einer Zeit der Unsicherheit auch für Führungskräfte sind starre Hierarchien und Kontrolle von oben keine hilfreichen Instrumente. „Führung ist keine Frage der Position mehr, sondern eine Frage der Haltung“, schreibt Marcus Raitner. Dementsprechend müsse Führung die Selbstführung der anvertrauten Mitarbeiter zum Ziel haben, also andere erfolgreich zu machen.

Kennzeichen von Human Leadership

Das bestätigt ein Whitepaper der Plattform future foHRward und von Microsoft. Demnach aktivieren Führungskräfte das Potenzial von Einzelpersonen, um den gemeinsamen Zweck im Team und für die Organisation zu erreichen. Menschliche Führung zeichne sich unter anderem durch folgende Merkmale aus:

  • Mut: Diese Eigenschaft werde benötigt, um Hindernisse zu beseitigen, offene Gespräche zu führen und schwierige Entscheidungen zum Nutzen des Einzelnen, der Teams sowie des Unternehmens zu treffen. Solche Chefs zeigen Verletzlichkeit und orientieren sich an den übergeordneten Zielen in guten wie in schlechten Zeiten.
  • Hohe emotionale Intelligenz: Darüber stehen Führungskräfte mit ihren eigenen Gefühlen und denen der Menschen, mit denen sie arbeiten, in Verbindung.
  • Empathie: Dies bedeutet, sich urteilsfrei in die Situationen anderer hineinzuversetzen, um diese dort abzuholen, wo sie sich befinden.

Darüber hinaus weisen Organisationen, in denen menschliche Führung verankert ist, bestimmte Kennzeichen auf. Dazu zählen:

  • Ein höherer Zweck: Damit sind Ziele gemeint, die über die finanziellen Aspekte hinausgehen und einen Sinn verleihen.
  • Authentische Werte: Sie definieren, wie der Unternehmenszweck erreicht werden soll. Wichtig ist, sie gut zu beschreiben, das gewünschte Verhalten festzulegen und in der Unternehmenskultur zu verankern.
  • Growth Mindset: Mit einer Wachstumsphilosophie glaubt eine Organisation, dass sie Fortschritte durch kontinuierliches Lernen erzielen kann. Das beinhaltet, Potenzial in neuen Situationen zu sehen, Risiken einzugehen und entscheidungsfreudig zu sein. Dies ist auch im Beitrag „Mit dem passenden Mindset zu nachhaltiger Unternehmensexpansion“ beschrieben.

Vorteile für alle Beteiligten

So wie das passende Mindset Unternehmen bei der Entwicklung hilft, kann menschliche Führung einen Unterschied erreichen, vor allem in der gegenwärtigen Zeit, in der Berufliches mit Privatem ineinanderläuft, vieles unsicher ist und auseinanderfällt, wie Dr. Claude Heini in seinem Buch „Menschliche Führung gewinnt!“ erläutert. Er sieht Human Leadership zudem als gesellschaftlichen Faktor. Wenn Wirtschaft menschlich agiere, habe dies positive Konsequenzen für alle. Ausserdem wirke sich eine Kultur der Menschlichkeit günstig auf die Krisenresistenz aus. Das alles gelte unabhängig vom aktuellen Führungsansatz.

Im Whitepaper von future foHRward und Microsoft heisst es: Wir glauben, dass die menschliche Führung entscheidender als je zuvor wird, damit Organisationen in diesem immer komplexer werdenden Umfeld überleben und dann gedeihen können. Human Leadership biete eine Möglichkeit, Werte für das Unternehmen zu schaffen, indem ein auf Menschen ausgerichteter Ansatz gewählt werde.

Auf einem guten Weg

Solche Erkenntnisse haben sich durchaus verbreitet. Immer mehr Unternehmen beschäftigen sich etwa mit der Zweckfrage – dem Purpose, wie im Beitrag „Sinn und Bedeutung im Job erhalten jetzt noch mehr Relevanz“ dargelegt ist. Rechnete Autor Aaron Hurst, der das Phänomen in seinem 2014 veröffentlichten Buch „The Purpose Economy“ beschreibt, damit, dass die Sinnökonomie innerhalb der nächsten 20 Jahre die Informationsgesellschaft ablösen wird, so gilt inzwischen, dass dieser Wandel früher eintreten könnte.

Zum Beispiel vermag Technologie diese Entwicklung dem Whitepaper zufolge zügiger voranzutreiben und menschliche Führung in der neuen Arbeitswelt zu stärken. Konkret erleichtere sie es, das richtige Talent mit den richtigen Fähigkeiten zur richtigen Zeit an den richtigen Orten zu finden, eine Kultur der Zusammenarbeit zu schaffen und die Leistung zu beschleunigen. Zudem unterstütze sie beim kontinuierlichen Lernen und Einbetten des Wohlbefindens in die alltägliche Führung. Dass solche Erfahrungen wichtig sind, wird unter anderem auch daran deutlich, dass die Employee Experience 2020 als wichtigster Recruitingtrend benannt worden ist. Unternehmen sollten daher Employee Experience Management unbedingt auf ihre Tagesordnung setzen, wie im Beitrag „Employee Experience Management gehört nun zur Pflicht“ erläutert ist.

Damit Führungskräfte „Herz zeigen“ können, bedarf es darüber hinaus einer soliden Basis. Diese sieht Dr. Claude Heini in der Persönlichkeitsentwicklung. Selbstkompetenz und Beziehungsgestaltung müssten gestärkt werden. Das schliesst ein, dass Führungskräfte sich selber kennenlernen, erfahren, wo ihre Stärken und Schwächen sind. Ebenso setzt es voraus, zu akzeptieren, dass sie nicht für jedes Problem eine Lösung parat haben und die Mitarbeiter benötigen. Dafür wiederum gilt es, alte Denkmuster aufzubrechen, nach dem Sinn zu fragen sowie Werte zu entwickeln. Immerhin befindet sich die Gesellschaft in einem Umwälzungsprozess, der so gewaltig ist wie der Wandel von der Agrargesellschaft zur Industriegesellschaft, so der Trailer zum Dokumentarfilm „Die stille Revolution“. Das Werk zeigt am Beispiel der Hotelkette Upstalsboom, wie die Transformation gelingen kann. Ziel sollte sein, was Marcus Raitner als Vision beschreibt: „Ich habe den Traum, dass eines Tages die Wirtschaft dem Menschen und dem Leben dient und nicht umgekehrt.“

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Autor: Roger Nellen