Im gegenwärtigen Zeitalter der Daten scheint analysiert zu werden, was möglich ist – auch die Sprache. Immerhin können sowohl das geschriebene als auch das gesprochene Wort eindrucksvoll wirken. Dies wollen sich einige Unternehmen zunutze machen und setzen auf Sprach- beziehungsweise Kommunikationsanalyse-Software bei der Bewerberauswahl. Doch das bedeutet nicht zwangsläufig Erfolg.
Im sich verschärfenden War for Talents klingen die Versprechen der Software-Anbieter in den Ohren überforderter Personalentscheider grandios. „Ohne grossen Mehraufwand“ sollen sie dank künstlicher Intelligenz (KI) „wichtige Erkenntnisse zu den Kompetenzen der Bewerber“ gewinnen. Ihnen wird suggeriert, „eine ergänzende und wissenschaftlich objektive Basis“ für die Entscheidung, ob der Bewerber ins Unternehmen passt, zu erhalten. Langfristig sparen sie sogar immense Prozesskosten ein, da sie weniger Zeit und Ressourcen in Bewerbungsgespräche und andere Abläufe investieren müssen.
Solche Marketingsprüche sind nach Erklärungen des Wirtschaftspsychologen Prof. Uwe Peter Kanning „ein Taschenspielertrick“. Objektive Ergebnisse der Software seien selbstverständlich, da Objektivität lediglich die Unabhängigkeit des Resultats von der bewertenden Person bezeichne. Dies sage nichts über die Validität, also die Gültigkeit, aus. Anbieter vertrauen darauf, dass Kunden den Unterschied nicht kennen und darauf, dass Innovatives automatisch als besser empfunden werde. Dabei bedeute die Zufriedenheit von Kunden, auf die sie verweisen, nicht per se hohe Qualität von Produkten. Tatsächlich „ist längst bekannt, dass künstliche Intelligenz häufig die Vorurteile übernimmt, die in den Datensätzen versteckt sind, mit denen sie trainiert wurde“, merkte etwa die Wirtschaftswoche an.
Studien aus der Forschung attestieren durchaus Zusammenhänge zwischen geschriebener und gesprochener Sprache sowie Persönlichkeitsmerkmalen wie emotionaler Stabilität, Extraversion, Offenheit, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit sowie Persönlichkeitsstörungen und Leistung. Allerdings ist dieser Bezug sehr gering, so Prof. Uwe Peter Kanning. Es handele sich um höchstens zehn Prozent. Das sei zu wenig, um Rückschlüsse auf die Persönlichkeit ziehen zu können, zumal die Anbieter kaum preisgeben, wie die verwendeten Algorithmen zu den Ergebnissen gelangen. Angaben, wie auf Verwendung bestimmter Wörter, Auftreten von Füllwörtern, Satzlänge, Lautstärke, Betonung und Sprachgeschwindigkeit zu achten, geben nicht wirklich Aufschluss.
Sprachparameter, weiss Prof. Uwe Peter Kanning, können durch viele Faktoren beeinflusst werden, etwa durch den Inhalt, die Stimmung, Stress, die Absicht und technische Probleme wie Verzerrungen. Zudem zeigen Forschungen, dass Alltagssprache sich instabil verhalte. Profile verändern sich stark. Bereits innerhalb von vier Wochen könne das Ergebnis anders aussehen. Deshalb sei keine prognostische Validität gegeben.
Darüber hinaus habe der Einsatz der Technik imageschädigendes Potenzial und könne sich schlecht aufs Employer Branding auswirken. Denn Kandidaten wollen nicht von einer Blackbox analysiert werden. Dies korrespondiere für sie nicht mit der propagierten Kommunikation auf Augenhöhe. Zu diesem Ergebnis kommt auch eine Umfrage im Auftrag der Stellensuchmaschine Indeed. Wie das Fachportal Haufe berichtete, lehnen demnach vier von zehn Beschäftigten den Einsatz von künstlicher Intelligenz in Bewerbungsprozessen ab. Nur elf Prozent würden ein Vorstellungsgespräch mit einer KI führen wollen. 28 Prozent der Befragten waren der Auffassung, „dass Unternehmen, die KI-Systeme einsetzen, nicht an dem Menschen hinter der Bewerbung interessiert sind“ und gut 30 Prozent denken, dass das Unternehmen durch Algorithmen vor allem Arbeitskräfte einsparen wolle. Somit kann der Schaden immens sein, wenn Firmen bei Personalentscheidungen offensiv auf Sprachanalyse-Software setzen.
Es existiert keine magische Box, welche die mit dem Rekrutieren von Fach- und Führungskräften verbundene Arbeit eliminiert. Erfolgreiches Recruiting bedeutet Aufwand. Noch bevor die eigentliche Suche beginnen kann, gilt es, das Stellenprofil exakt zu definieren. Danach sind geeignete Wege und Mittel auszuwählen, um vielversprechende Kandidaten zu identifizieren, anzusprechen und die am besten passenden zu selektieren. Bei der Bewertung wiederum kommt es auf viele feine Zwischentöne und letztlich die gesamte Persönlichkeit an. Hierbei auf kundige Executive-Search-Spezialisten zu setzen, um den eigenen Aufwand zu reduzieren, ist mit Abstand die bessere Wahl.
Technologie sollte nach ihren Möglichkeiten eingesetzt werden und das kann um Vieles imposanter sein als der Griff in eine Blackbox. Das demonstrierte ein Beispiel von Volvo bereits 2018. Damals präsentierte der Autobauer ein Fahrzeug, das seine Techniker „mit einem sprachbegabten Assistenzsystem á la Knight Rider“ selbst rekrutiert, wie Blogger Christoph Athanas beschrieb. Zwar wies er auch auf die Fragwürdigkeit der Verhaltens- und Persönlichkeitsanalysen über Spracherkennung hin, jedoch sei der Fall echt beeindruckend. Denn: „Wunderbar gehen hier Produkt- und Personalmarketing Hand in Hand“ beziehungsweise die Candidate Experience entfaltet grosses Potenzial. Für den nachhaltigen Erfolg kommt es „nur“ noch auf das Gesamtkonzept an.
datum: