Der Ton macht bekanntlich die Musik. In Zahlen ausgedrückt heisst das: Wie Worte wirken, hängt nach Angaben des Job- und Bewerbungsportals Karrierebibel zu 38 Prozent von der Stimme, also von Tonfall, Betonung sowie Artikulation, ab. Damit ist die Stimme um ein Vielfaches bedeutender als der Inhalt selber, der lediglich sieben Prozent Gewicht haben soll. Auch wenn diese Angaben umstritten sind, verrät nichts einen Menschen so sehr wie der Klang seiner Stimme, so die Wochenzeitung „Die Zeit“. Dies ist auch im Berufsleben von grosser Bedeutung.
Ob im Telefongespräch, im Jobinterview, bei Präsentationen, im Jahresgespräch oder beim Plausch mit Kollegen – jede mündliche Äusserung wird vom Gegenüber auch unbewusst wahrgenommen. Aus der Stimme lässt sich „mehr heraushören, als uns oft bewusst ist – und weniger in ihr verbergen, als uns recht ist“, so die Zeit. Gemeint sind damit unter anderem Alter, Charakter, Wohlbefinden sowie Selbstverständnis des Sprechenden.
Weil die Knorpel im Kehlkopf mit der Zeit an Beweglichkeit, die Muskeln an Kraft und die Stimmlippen an Elastizität verlieren, klingen ältere Stimmen rauer. „Eine Untersuchung der Technischen Universität Berlin ergab, dass Menschen anhand der Stimme eher das biologische Alter einer Sprecherin erkennen als das Alter, das aus dem Personalausweis hervorgeht“, argumentiert die Autorin. Darüber hinaus habe der Stimmforscher Walter Sendlmeier herausgefunden, dass aufgeschlossene Menschen schneller, lauter und melodischer sprechen als zurückhaltende, sorglose Menschen tiefer und mit weniger Ausreissern als sensible. Wer fröhlich oder verärgert sei, spreche abwechslungsreich in Bezug auf die Frequenz während Angst und Trauer die Stimme monoton klingen lassen. Körperliche Anspannung wie Angst oder Freude treiben hingegen die Töne in die Höhe.
Die unbewusste Einschätzung fremder Stimmen funktioniert hervorragend. Unter Berufung auf Walter Sendlmeier schreibt die Autorin: „Obwohl das menschliche Ohr für solche Nuancen hochsensibel ist, werden unsere Fähigkeiten in diesem Bereich oft stark unterschätzt“. Das zeige auch eine Studie der Yale University. „Konnten die Teilnehmer eine Person nicht sehen, nur hören, so schätzten sie deren Gefühle besonders treffsicher ein.“ Ein Grund dafür ist der sogenannte psychorespiratorische Effekt: „Wenn wir einem Menschen zuhören, vollziehen wir seine Sprechweise innerlich nach. Wer beruhigend spricht, besänftigt sein Publikum. Wer mit heiserer Stimme krächzt, lässt es mitleiden.“
Solche verräterischen Merkmale der Stimme haben auch auf dem Gebiet der Stimmanalyse einiges bewegt. So können längst nicht nur Wissenschaftler anhand der Stimme sogar Krankheiten wie Parkinson, ADHS und Depression erkennen. Es gibt auch Software, mit der Unternehmen Stimmen im Rahmen der Persönlichkeitsanalyse untersuchen können. Wie Carina Fron auf Deutschlandfunk Kultur berichtet, unterstützt zum Beispiel das Aachener Start-up Precire mithilfe von Stimmanalysen „inzwischen mehr als 100 Kunden – Unternehmen, Versicherungen, Krankenkassen –, geeignete Mitarbeiter zu finden“. Dafür werden aus der Stimme rund 50 Informationen abgeleitet. Davon soll gut die Hälfte Kompetenzen und Eigenschaften einer Person widerspiegeln. „Unter anderem: Ist dieser Mensch eine forsche Persönlichkeit oder kann er sich auch zurücknehmen? Ist er neugierig oder eher schüchtern?“ Obwohl Björn Schuller, der an den Universitäten Augsburg und Passau zum Thema „Affective Computing“ forscht und lehrt, vor einer Überschätzung der Aussagekraft von Stimmanalysen warnt, „könnten auf diese Weise schon jetzt Meinungsbildung verfolgt – und Minderheiten überwacht werden“.
Die gute Nachricht: Die Stimme lässt sich durch gezieltes Training beeinflussen. Zahlreiche Logopäden, Sänger, Trainer und Coachs geben Tipps und bieten Unterstützung. Welcher Weg für wen geeignet ist, hängt vom jeweiligen „Schüler“ sowie seinen Voraussetzungen ab. Mit Sicherheit lässt sich jedoch sagen, dass es für die Karriere sinnvoll ist, an einer tiefen Stimme zu arbeiten. Wie im Artikel in der Zeit dargelegt, zeigen zahlreiche Studien, unter anderem von Forschern der Florida Atlantic University, dass tiefe Stimmen als vertrauenswürdig, durchsetzungsfähig und kompetent wahrgenommen werden. Dadurch wirken sie sich auf den Erfolg der betreffenden Person aus – zumindest, wenn es sich um einen Mann handelt. Was Frauen betreffe, so seien sich Wissenschaftler nicht sicher, welche Stimmhöhe der Karriere einer Frau diene. Jedoch habe sich herausgestellt, dass die Stimmen der Frauen in mehreren europäischen Ländern immer tiefer werden. „Soziologen halten das für eine Folge der Emanzipation – zumal eine Studie ergab, dass Frauen im fortschrittlichen Norwegen tiefer sprechen als jene im konservativen Italien [...] Das Absinken der Stimmen, so die Vermutung der Wissenschaftler, deute vielmehr darauf hin, dass die Art, wie wir sprechen, auch Rollenvorstellungen offenbart: Wer Schutzbedürftigkeit ausdrücken will, spricht höher, Stärke hingegen klingt tiefer.“ Auf jeden Fall berücksichtigt werden muss, dass die Stimme zur Person passen sollte. Denn die Sprachtrainerin Cornelia Moore halte nicht viel von der Frage, wie eine Stimme klingen müsse, um gut anzukommen. Vielmehr berühre eine Stimme dann, wenn sie authentisch sei.
Darüber hinaus führt die Zeit zehn einfache Tipps auf, die jedem helfen, seine Stimme zu verbessern. Diese lauten zusammengefasst: trinken, Bonbons lutschen, in den Bauch atmen, sich locker machen, die natürliche Stimmlage finden, die Stimme durch summen aufwärmen, weder räuspern noch rauchen und bei Heiserkeit möglichst schweigen oder flüstern.
Unabhängig davon, wie viel Aufwand jeder selber in ein Stimmtraining investieren möchte und ob Unternehmen Fach- und Führungskräften oder Mitarbeiter im Kundenkontakt dabei unterstützen wollen: Die Übungen lohnen sich. Denn die Stimme ist zu bedeutend, um sie nur unbewusst zu verwenden oder wahrzunehmen.
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Autor: Roger Nellen