Bewusste Personalentscheidungen: Höchste Zeit und gar nicht so schwer

Zwischen der in der Bundesverfassung verankerten Gleichberechtigung und der Realität in den Unternehmen klafft noch eine grosse Lücke. Das legt die kürzlich veröffentlichte Untersuchung zur Arbeitsmarktdiskriminierung in der Schweiz der KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich dar. Der dazugehörige Bericht von Daniel Kopp und Michael Graff zeigt, dass die Thematik wesentlich weiter reicht als allein von der Diskriminierung von Frauen, zum Beispiel hinsichtlich des Lohns, zu sprechen. Auch Ausländer werden benachteiligt und Männer, die in Teilzeit arbeiten wollen.

Im Rahmen einer umfassenden Analyse der Suchaktivitäten von Unternehmen auf der Stellenvermittlungsplattform Job-Room fanden die Forscher heraus, dass Ausländer im Durchschnitt 6,5 Prozent weniger häufig zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen wurden als gleich qualifizierte Schweizer. Ausserdem entdeckten sie: „Bei gleicher Qualifikation werden Frauen vor allem in typischen Männerberufen diskriminiert und Männer in weiblich dominierten Berufen.“ Nicht zuletzt stelle der Wunsch nach Teilzeitarbeit ein grosses Hindernis bei der Stellensuche dar. Die Wahrscheinlichkeit, bei einem solchen Wunsch kontaktiert zu werden, sinke generell um bis zu 28 Prozent, wobei die Kontaktwahrscheinlichkeit abnehme, je geringer das avisierte Arbeitspensum sei. In diesem Zusammenhang legten die Forscher offen, „dass der Wunsch nach Teilzeitarbeit bei Männern einen deutlich grösseren Nachteil zur Folge hat als bei Frauen. Bereits der Wunsch nach einer 90 Prozent Anstellung führt bei Männern zu einer um 16 Prozent geringeren Kontaktrate im Vergleich zu Stellensuchenden, die eine Vollzeitstelle suchen. Bei Frauen ist der Nachteil weniger als halb so gross.“

Ursachen im Unbewussten

Was für einige kaum fassbar klingt, hat plausible Ursachen. Daniel Kopp und Michael Graff schreiben: „Eine nahe liegende Erklärung ist, dass Teilzeitarbeit bei Frauen gesellschaftlich auf grössere Akzeptanz stösst, da dies den traditionellen Geschlechterrollen entspricht. Teilzeitarbeitende Männer hingegen widersprechen diesen tief verwurzelten Stereotypen und Geschlechterrollen.“ Dass diese weit verbreitet sind, verdeutlicht der Blogbeitrag „Unconscious bias – unbewusste Fehler im Jobinterview“. Darin ist erläutert, dass jeder Mensch unwillkürlich Komplexität reduziert, indem er bewährte Muster verwendet, die von seinem kulturellen Hintergrund, seiner Erziehung und seinen bisherigen Erfahrungen abhängen, um leichter mit der Umwelt interagieren zu können. Der Harvard-Ökonomin Iris Bohnet zufolge geschehen 90 Prozent der Aktionen im Gehirn unbewusst.

Den Varianten scheinen kaum Grenzen gesetzt, es gibt eine Vielzahl solcher Vereinfachungen. Allein im Artikel „Klare Strukturen mindern Wahrnehmungs- und Beurteilungsfehler“ sind zwölf Phänomene beschrieben. Ihre Palette reicht von der Projektion, bei welcher der Beurteilende eigene Eigenschaften auf das Gegenüber überträgt, bis hin zum Pygmalion-Effekt. Dabei verhält sich das Ergebnis entsprechend der Erwartungshaltung. Ein anderes Beispiel: der Mini-Me-Effekt, der die Neigung der Menschen bezeichnet, diejenigen auszuwählen, die ihnen am ähnlichsten sind.

Dass die Diskriminierung in den Unternehmen höchstwahrscheinlich auf solche unbewussten Wirkungen zurückzuführen ist, belegt die Studien-Erkenntnis, „dass die ausländische Herkunft der Stellensuchenden gegen Mittag und gegen Abend – wenn die Personalverantwortlichen die Lebensläufe schneller durchgehen – einen stärkeren negativen Einfluss hat.“

Entscheidungen mit Folgen

Die Konsequenzen reichen über den ethischen Aspekt hinaus. „Wenn Männer, die Teilzeit arbeiten möchten, grössere Nachteile zu befürchten haben als Frauen, reduziert das ihren Anreiz, das Arbeitspensum zu reduzieren und dadurch eine ausgeglichenere Aufteilung von Erwerbs- und Nichterwerbsarbeit zwischen den Geschlechtern herbeizuführen. Somit wird die ungleiche Verteilung von Erwerbs- und Nicht-Erwerbsarbeit zwischen den Geschlechtern weiter zementiert“, so die Studie. Darüber hinaus könne Diskriminierung ökonomische Ineffizienz verursachen oder verstärken. Diskriminierende Unternehmen, die Arbeitssuchende aufgrund produktivitätsirrelevanter Merkmale ausschliessen, reduzieren die Anzahl fähiger Kandidaten und müssen deshalb unter Umständen für ein gegebenes Leistungsniveau mehr bezahlen.

Darüber hinaus ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass unbewusste Einschätzungen trügen. Sie können dazu führen, dass Menschen der dunklen Triade bevorzugt eingestellt werden. Diese vereinen Narzissmus, Machiavellismus sowie milde Psychopathie und sind als Führungskräfte unter anderem dafür verantwortlich, dass Mitarbeiter mit ihrer Arbeit seltener zufrieden sind beziehungsweise ihre Aussichten auf Karriere und Erfolg im Unternehmen geringer einschätzen. Zu den Folgen zählen mangelnde Leistungen und hohe Krankenstände. Extreme, schwankende Unternehmensleistungen, Diebstahl, Mobbing und Wirtschaftskriminalität können ebenfalls angeführt werden, wie im Blogartikel „Mit intelligenter Personalauswahl dunkle Kräfte bändigen“ dargelegt ist.

Wege zu bewussteren Entscheidungen

Ansätze, um einer solchen Auswahl vorzubeugen, gibt es viele – auch in der Studie. Genannt werden etwa anonyme Bewerbungen und Anstrengungen, stereotype Ansichten über die Aufgabenverteilung von Männern und Frauen abzubauen. Ausserdem sei nützlich, Personalverantwortliche auf unbewusste Prozesse sowie die Rolle von Ermüdung bei der Bewerberauswahl hinzuweisen.

Tatsächlich kann es helfen, Verantwortliche zu sensibilisieren, beispielsweise im Rahmen von Seminaren. Dadurch erhalten sie eine Vorstellung davon, wie unbewusste Muster Diskriminierung, vor allem aufgrund von Geschlecht, Ethnizität, Migrantenstatus, sexueller Orientierung, Familienstand, Aussehen, Behinderungen, Alter und Dauer einer Arbeitslosigkeit, die Tür öffnen.

Darüber hinaus ist das Einrichten standardisierter Abläufe und Beurteilungskriterien, die sich nach den konkreten Stellenanforderungen richten, sinnvoll. Sie ermöglichen zusammen mit Anwendung des Vier-Augen-Prinzips objektive Vergleichbarkeit. Nicht zuletzt sollte aktiv nach Diversität gesucht werden. Den Arbeitsergebnissen wäre dies dienlich ebenso wie einem ethischeren Verhalten, für das es nun wirklich Zeit wird.

Gern unterstützen wir Sie, bewusstere Personalentscheidungen zu treffen. Sprechen Sie uns an!

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Autor: Renata Kratzer