Spätestens seit der Corona-Pandemie gibt es kaum noch gute Gründe, das Arbeiten von zu Haus zu verbieten.
Das US-Unternehmen airbnb verkündete Ende April 2022, dass seine Mitarbeitenden dauerhaft ortsunabhängig arbeiten dürfen. Das hat die Belegschaft positiv überrascht – und das Onlineportal für viele zum Wunscharbeitgeber gemacht. Wenige Tage nach der Mitteilung hatten knapp eine Million Menschen die Karriereseite von airbnb besucht. Seinen Standort gibt airbnb damit nicht auf. Lediglich eine Verkleinerung der Bürokapazitäten ist auf längere Sicht zu erwarten.
Einige Unternehmen setzen längst auf eine rein virtuelle Präsenz, darunter viele Start-ups. Statt hoher Fixkosten durch das Anmieten von Räumen kann das Unternehmen seine Belegschaft bequem skalieren. Häufige Umzüge infolge des Wachstums werden so vermieden.
Die Vorzüge des rein virtuellen Arbeitens
Arbeitet ein Unternehmen nur mit Mitarbeitenden im Homeoffice, muss es bei der nächsten Pandemie oder vergleichbaren internationalen Krisen keine Probleme befürchten. Geschlossene Grenzübergänge für Deutsche oder Österreicher, die in der Schweiz arbeiten und umgekehrt, führen nicht mehr zu Schwierigkeiten.
Statt des täglichen CO2-Ausstosses durch das Pendeln sowie dem Energieverbrauch ungenutzter Büroräume sind gelegentliche Treffen vor Ort nachhaltiger.
Ein weiterer Vorteil ist die langfristige Bindung der Mitarbeitenden, die von einer höheren Lebensqualität profitieren. Unabhängig davon, wie sich deren Lebensentwurf verändert, ist ihre mobile Arbeit selten betroffen. Ob Nachwuchs ins Haus steht oder ein Umzug von der Stadt aufs Land (oder zurück), mobil zu arbeiten, kann diese Umbrüche erleichtern. Auch die Pflege von Angehörigen oder ein zeitintensives Hobby lassen sich besser realisieren, wenn lange Pendelzeiten entfallen.
Ein gewichtiges Argument für rein virtuelle Arbeitsplätze stellt die Auswahl an Fachkräften dar. Gerade kleinere Unternehmen, die weder mit einer klangvollen Unternehmensgeschichte noch mit globaler Vernetzung punkten können, profitieren davon. Ihr Bewerberpool wird automatisch grösser, wenn sie aus dem ganzen Land oder dem angrenzenden Ausland Menschen einstellen können. Unternehmen müssen nicht mehr mit einem attraktiven Standort punkten, damit sich für die Kandidaten der Umzug lohnt.
Speziell für jüngere Bewerbende strahlt das virtuelle Unternehmen eine moderne Unternehmenskultur aus. Das reine remote Arbeiten lässt erwarten, dass Vertrauen und Flexibilität wichtige Grundpfeiler der Unternehmenskultur sind.
Was für Risiken birgt das Arbeiten in virtuellen Büros?
Fühlen sich vorrangig Menschen im Alter unter 40 angesprochen, könnte es zu einer zu geringen Altersdiversität führen. Hier hilft die gezielte Ansprache der Altersgruppe Ü40.
Gleichzeitig stellt sich die Frage, ob die Loyalität von Mitarbeitenden sinkt, wenn kein Raum der Begegnung zur Verfügung steht. Der informelle Austausch in Kantine oder Teeküche hilft bei der Zusammenarbeit und dem Teambuilding. Können virtuelle Treffen und gelegentliche Begegnungen „in echt“ ein solches Gemeinschaftsgefühl erzeugen? Corona hat gezeigt, dass es möglich ist. Allerdings sind verbindende Online-Meetings kein Selbstläufer. Sie müssen geplant und idealerweise moderiert werden. Dabei sollten zufällige und Team-übergreifende Begegnungen eingeplant werden. Die virtuelle Teeküche sorgt für Kreativität und Innovation.
Doch wie bekommt der Arbeitgeber mit, ob etwas unrund läuft und Mitarbeitende berufliche oder private Probleme haben? Im virtuellen Unternehmen zeigt sich besonders deutlich, wie wichtig Soft Skills in der Führung geworden sind. Mit digitaler Empathie, ergänzt durch regelmässige Treffen in Präsenz, kann das gelingen. Natürlich handelt es sich nicht um eine reine Holschuld der Vorgesetzten. Auch Mitarbeitende müssen lernen, anders zu kommunizieren.
Bei Fintechs und weiteren Start-ups stellt sich die Frage, ob das rein virtuelle Arbeiten eine Langfristlösung ist. Stellt sich der grosse Erfolg ein und die Gründer verkaufen ihr Unternehmen, wird es vielleicht von einem konservativen Grosskonzern übernommen. Erlaubt der Konzern eine Firma in der Firma – oder werden die Mitarbeitenden ins Büro bestellt?
Noch zu klärende Fragen des Arbeitens ohne festen Firmenstandort
Rund um das rein virtuelle Unternehmen gibt es administrative Hürden. Diese unterscheiden sich von Land zu Land. Wer in Deutschland ein rein virtuelles Unternehmen gründet, braucht dafür einen Firmensitz. Handelt es sich um die Garage oder das Arbeitszimmer des Firmengründers, ist wichtig, ob derjenige zur Miete oder im Eigenheim lebt. Gilt die eigene Immobilie als Firmensitz, empfehlen Steuerberater häufig, entsprechende Vorkehrungen zu treffen, damit sie nicht als Firmenkapital angesehen und damit pfändbar wird.
Müssen rein remote arbeitende Unternehmen mehr Gehalt bieten, weil sie Bürokosten abwälzen oder zahlen sie weniger, weil es ein attraktives Angebot darstellt? Diese Frage wird längerfristig der Markt regeln. Solange das jederzeitige mobile Arbeiten noch eine Ausnahme darstellt, brauchen die Unternehmen nicht gleichzeitig mit hohen Gehältern zu locken. Schreitet der Fachkräftemangel voran und wird die virtuelle Firma zum Standard, müssen sich die Arbeitgeber stärker gegen ihre Wettbewerber absetzen.
Zudem stellt sich die Frage, wer das dauerhafte Büro zu Hause finanziert: Der Arbeitgeber, der Fiskus oder der Mitarbeiter selbst? Hohe Energiekosten und steigende Mieten verteuern Büroräume in gefragter Innenstadtlage. Wer Platz reduzieren kann, setzt Budget frei, um seinen Mitarbeitenden ergonomisch hochwertige Büromöbel zu ermöglichen. Nun stattet das Unternehmen seinen Mitarbeiter grosszügig aus und dieser kündigt nach ein paar Monaten. Lässt das Unternehmen gebrauchte Möbel wieder abholen oder kauft der Mitarbeitende sie?
Wie wirkt sich der rein virtuelle Standort auf die Gründung einer Arbeitnehmervertretung aus? Diese Betriebskommission kann in Betrieben mit mindestens 50 Mitarbeitern eingerichtet werden. Doch was passiert, wenn es keinen klassischen Standort mehr gibt?
Ein weiterer Aspekt sind Sicherheitsfragen. Wie lassen sich Anforderungen aus Datenschutz und Compliance umsetzen, wenn die Mitarbeitenden von zu Hause, aus dem Co-Working-Center oder gar auf Reisen in ihrem Wohnmobil arbeiten?
Die Beispiele zeigen, dass sich die geltenden Gesetze noch stärker mit New Work beschäftigen müssen.
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Autor: Nicole Schmidt