So lassen sich Mensch, Nachhaltigkeit und Job vereinbaren

Die Corona-Krise hat der Diskussion um verantwortungsvolles Handeln von Unternehmen neuen Zündstoff verliehen. Die Erwartungen an Firmen wandeln sich rasant, wie Henrik Müller, Professor für wirtschaftspolitischen Journalismus an der Technischen Universität Dortmund, im Manager Magazin bemerkt. Als Beispiel führte er an, dass Adidas angekündigt hatte, wegen der Corona-Pandemie seine Mietzahlungen europaweit auszusetzen. Daraufhin sah sich der Konzern mit einem Shitstorm konfrontiert, nahm seine Entscheidung zurück und entschuldigte sich. Henrik Müller erläutert: Die Kritik, die sich über Adidas ergoss, „hat einen Eindruck davon vermittelt, was nun als akzeptabel gilt und was nicht mehr.“ Doch können Unternehmen sozial sein, oder sind sie gezwungen, sich asozial zu verhalten, wie der Professor fragt? Beziehungsweise: Lassen sich Mensch, Verantwortung inklusive Nachhaltigkeit und Arbeit vereinbaren? Wenn ja, wie?

Bei der Suche nach Antworten nützt es, die Entwicklungen zu beobachten. Denn das Thema der Verantwortung ist nicht neu. 2016 beispielsweise traten die 17 Sustainable Development Goals (SDG) der Vereinten Nationen mit einer Laufzeit von 15 Jahren in Kraft. Sie sollen weltweit der Sicherung einer nachhaltigen Entwicklung auf ökonomischer, sozialer sowie ökologischer Ebene dienen. Daran haben Unternehmen grossen Anteil. Das Implementieren einer Corporate Social Responsibility (CSR) und digitaler Technologien, die bei der Umsetzung unterstützen sollen, wurde zum Must-have.

Akuter Bedarf an Nachhaltigkeit

Der Bedarf nach echter, transformativer Sustainability ist „akuter denn je“, formuliert Thomas Krick, Leiter der Sustainability Services in Deutschland bei Deloitte. Denn die ökologischen und sozialen Problemfelder werden täglich bedrohlicher. Darüber hinaus steige der Handlungsdruck auf Unternehmen von mehreren Seiten zugleich: „Regulatoren, Kunden und Investoren fordern überprüfbare Nachhaltigkeit.“ Darauf nicht einzugehen, stelle ein geschäftliches Risiko dar.

Insbesondere die Generation Y legt enorm grossen Wert auf Nachhaltigkeit und sinnhafte Arbeit, wie der Blogbeitrag „Digitale Transformation zwischen sinnlosen Jobs und Purpose Economy“ darlegt. Diese Generation wird als Nächstes die Führungspositionen besetzen. Zudem bildet sie die Altersgruppe, für die momentan zum Beispiel neue Immobilien errichtet werden. So erscheint es nachvollziehbar, dass Aaron Hurst, Autor des Buches „The Purpose Economy“, zu der Überzeugung kommt, dass die Sinnökonomie innerhalb der nächsten 20 Jahre die Informationsgesellschaft ablösen wird. Für die Wirtschaft besteht also dringend Handlungsbedarf.

Schlechte Zwischenergebnisse

Knapp die Hälfte der Unternehmen hat das erkannt. 2019 integrieren 48 Prozent der Firmen das Thema Nachhaltigkeit in ihre Betriebsabläufe, so die Studie „The decade to deliver“ von Accenture Strategy. Doch über eine CSR zu verfügen und sich gesellschaftliche Verantwortung auf die Fahnen zu schreiben, reicht nach Angaben der Bertelsmann-Stiftung nicht. „Die aktuelle Ausgabe des SDG-Reports zeigt, dass kein Land auf dem Weg ist, alle Ziele bis 2030 zu erfüllen“. Dem Report zufolge geht die Schweiz sogar als ein schlechtes Beispiel voran. Sie „verursacht durch ihr Konsumverhalten der Weltgemeinschaft die höchsten Kosten in den Bereichen Umwelt, Sicherheit und Wirtschaft“. Somit müssen viele Unternehmen hierzulande Hausaufgaben erledigen.

Grundbausteine für die Transformation

Nach Erläuterungen von Thomas Krick haben die Experten von Deloitte drei Bereiche identifiziert, in denen eine zielführende Transformation vorrangig ansetzt:

  1. Die Verankerung von Sustainability auf Führungsebene
    Die nachhaltige Transformation gelinge nur, wenn sie von oben gewollt, gestaltet und gesteuert werde. Sustainability sei ein C-Level-Thema quer durch die Management-Funktionen, für Audit Committee, Risikomanagement sowie interne Revision.
  2. Das systematische Messen und Erfassen von Sustainability
    Solle der Transformationsprozess in den Wertschöpfungsketten des Unternehmens effizient gestaltet werden, müsse man die Beiträge zu den SDG messen. Für die externe Bewertung etwa durch Analysten existieren Sustainability Benchmarks, Indizes und Datenbanken. Für interne Prozesse entwickele die Global-Reporting-Initiative oder das Sustainability Accounting Standards Board international zukunftsweisende Kriterien.
  3. Integration von Sustainability in die Strategie- und Innovationsprozesse
    Nachhaltigkeit müsse in Unternehmensstrategien sowie sämtliche Strategiebildungsprozesse einfliessen. Im Idealfall beginne das bei Unternehmens-Vision und Mission Statements, die den Sinn der Organisation beschreiben. Diese Ausrichtung finde sich dann unter anderem in der Strategie- und Innovationskultur wieder.

Wichtig ist, sich nicht nur punktuell auf Ziele wie etwa die Vermeidung von Plastikmüll oder Transparenz in der Lieferkette zu konzentrieren. Genauso bedeutend ist es, Zusammenhänge zu erkennen und den Arbeitnehmer als Menschen zu betrachten statt als „Human Resource“. Dies muss noch immer betont werden. Denn obwohl der Begriff Humankapital – die Entsprechung von Human Resource – nach Angaben des Magazins Gründerszene bereits seit Langem in der Kritik steht und 2004 zum Unwort des Jahres gewählt wurde, da es die Arbeitskräfte zu einer rein ökonomisch interessanten Grösse degradiere, ist „Human Resources“ auch heute noch inflationär gebräuchlich.

Demzufolge sollten Unternehmen unter anderem schnellstmöglich ein Führungsverständnis entwickeln, in dem das Individuum gesehen werde und zum Beispiel eine Selbstorganisation zulasse. Zudem sollten flexible Arbeitszeiten und Beschäftigungsmodelle sowie Karrieremöglichkeiten etabliert werden, die den Bedürfnissen der Menschen entgegenkommen. Dies trägt zur Bildung einer attraktiven Arbeitgebermarke bei und diese ist gemeinsam mit einer fortschrittlichen Unternehmenskultur ein wichtiger Erfolgsbaustein für die Fachkräftesicherung im „War for Talents“, wie im Beitrag „Nachhaltig bauen: Werte sind für Architekten von morgen essenziell“ erläutert ist.

Arbeit für eine bessere Welt

„Wir müssen dafür sorgen, dass Unternehmen (wieder) zum Menschen passen“, fasst Nico Rose, Personalmanager, Coach und freier Autor, auf ZEIT ONLINE zusammen. In diesem Sinne sollten und müssen Job, Mensch sowie Nachhaltigkeit keine Gegensätze sein. Im Gegenteil! „Was wir tagtäglich als Arbeit leisten, verändert die Welt. Beeinflusst sie. Ob wir wollen oder nicht. Wir bestimmen durch unsere Arbeit, wie die Welt morgen aussieht“, schreibt Kerstin Mayer, Architektin und Nachhaltigkeitscoach. Somit kann Arbeit, wenn sie ernsthaft mit Nachhaltigkeit und dem Menschen vereinbart wird, für nicht weniger als eine bessere Welt sorgen.

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