Sind Legal Tech und KI Antworten auf den Fachkräftemangel bei Juristen?

In der Schweiz boomt die Wirtschaft und es gibt zahlreiche offene Stellen. Neue Mitarbeitende zu rekrutieren fällt 33 Prozent der schweizerischen Unternehmen aller Branchen schwer, je grösser die Unternehmen desto gravierender das Problem. Juristen gehören dabei zu den zehn am stärksten nachgefragten Berufsfeldern. Dies ergab die Studie „Fachkräftemangel 2018“ der Manpower Group. Im weltweiten Vergleich steht die Schweiz gut da: Doch der Anstieg gegenüber der Vorjahresstudie zeigt die Tendenz, dass sich der Mangel an Fachkräften weiter zuspitzt.

Die Knappheit an Kandidaten resultiert aus dem Renteneintritt der geburtenstarken Jahrgänge, während die nachrückende Generation kleiner ist. Fachkräftemangel heisst jedoch nicht zwingend, dass es keine Bewerber gibt. Teilweise bringen sie aber nicht die gewünschte Ausbildung und Erfahrung mit oder es mangelt an Zusatzqualifikationen wie technischer Kompetenz oder Sprachkenntnissen.

Warum sich die Stellen nur mit Mühe besetzen lassen, ist laut der Befragung von Arbeitgebern in 43 Ländern insbesondere auf folgende Gründe zurückzuführen:

  • Mangel an Kandidaten
  • Mangelnde Fachkompetenz der Bewerber
  • Mangelnde Berufserfahrung der Bewerber
  • Fehlen von Soft Skills und sozialen Kompetenzen

Von der Juristenschwemme zum Mangelberuf

Wer als Jurist mit einem guten Studienabschluss den Berufseinstieg anstrebt oder die Stelle wechseln möchte, kann sich meist das passende Angebot auswählen. Auf dem Bewerbermarkt der Juristen sind hoch qualifizierte Absolventen ausgesprochen begehrt. Die jüngere Generation kann daher ihre Wünsche zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie, flexiblen Arbeitszeiten, Home Office und Sabbatical leichter durchsetzen.

Früher warnten Experten vor der Juristenschwemme, heute wird der Nachwuchsmangel diskutiert. Neben demografischen Faktoren spielt die Abbruchquote der Studierenden eine Rolle. Das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung (DZHW) hat in einer Studie herausgefunden, dass ungefähr jeder vierte Jurastudent sein Studium nicht abschliesst. Dabei ist interessant zu beobachten, dass angehende Juristen ihr Studium durchschnittlich erst nach sieben Semestern abbrechen, gegenüber fünf Semestern über alle Studiengänge.

Deshalb sollten Unternehmen versuchen, Studierende schon in den ersten Semestern an sich zu binden. So erfahren die Studierenden früh welche berufliche Perspektive sie nach dem Studium erwartet. Damit könnte die Zahl der Studienabbrecher reduziert und gleichzeitig die Fachkräfte von morgen gesichert werden.

Der Arbeitsmarkt reagiert auf die Verknappung des Angebots und lockt mit höheren Löhnen auch Menschen aus anderen Ländern in die Schweiz. Steigen die Arbeitskosten zu sehr, erwägen Unternehmen, Vorgänge zu automatisieren.

Wie wirkt die Digitalisierung auf den Mangel an juristischen Experten?

Die Entwicklung von künstlicher Intelligenz ist teuer, allerdings lohnt sie sich umso mehr, je höher die Gehälter der Fachkräfte sind. Kann intelligente Software daher Juristen ersetzen und dem Fachkräftemangel entgegenwirken?

Die OECD analysierte die Arbeitsmärkte von 32 Ländern in ihrer Studie „Putting faces to the jobs at risk of automation“. Sie kam zu der Erkenntnis, dass infolge der Digitalisierung fast jede zweite Stelle Algorithmen und Maschinen zum Opfer fallen könnte. Die Schweiz zählt zwar nicht zu den untersuchten Ländern, dennoch lassen sich die Ergebnisse gut übertragen. Als schwer zu automatisieren nennt die Analyse kreatives Denkvermögen sowie die menschliche Beziehungspflege im Sinne einer sozialen Intelligenz. Diese Qualifikationen sind bei juristischen Spezialisten gefragt.

Geht es im Wesentlichen um die Analyse umfangreicher Dokumente und Daten, unterstützt Kollege Software die juristischen Fachkräfte, ohne sie gleich wegzurationalisieren. Die für eine rechtliche Tätigkeit nötige Qualifikation ist zu hoch, um zu grossen Teilen automatisiert zu werden. Trotzdem könnte diese Entwicklung den Fachkräftemangel entschärfen und die Aufgaben der Juristen gleichzeitig verändern. Das Schweizer Legal Tech Start-up Legartis zeigt durch seine Software, die auf künstlicher Intelligenz (KI) mit Big Data und Machine Learning basiert, was heute schon möglich ist. Das Lifecycle Contract Intelligence Tool von Legartis erfasst, vergleicht und bearbeitet grosse Mengen an Gesetzestexten, Vertragswerken oder Dokumenten für die Unternehmensbewertung, auch in verschiedenen Sprachen.

Mit Legal Tech verändert sich das Berufsfeld

Legal Tech mit KI ist eher ein Thema für grosse Unternehmen und Grosskanzleien, da die Kosten der KI-Software hoch sind und ihr Nutzen mit der Zahl der Anwendungsfälle steigt. Die künstliche Intelligenz lernt aus den bearbeiteten Fällen und wendet ihr erworbenes Wissen auf die nächsten Mandate an. Beim Menschen ist das nicht anders, nach einigen Jahren im Beruf nutzt er seine Erfahrung, um neue Probleme zu lösen. Im Gegensatz zu einem Computer ist bei den meisten Menschen jedoch die Menge an Informationen beschränkt, die das Gehirn speichern und wieder abrufen kann.

Werden Juristen künftig von der zeitaufwendigen Literaturanalyse befreit, weil sie eine Software unterstützt, können sie sich auf komplexere Themen konzentrieren. Das macht den Berufszweig noch attraktiver und verändert die Anforderungen an die Bewerber. Diese bringen idealerweise eine hohe Bereitschaft zum lebenslangen Lernen mit und finden im Unternehmen eine Kultur der Lernbereitschaft vor. Gleichzeitig erschwert es den Berufseinstieg der Studienabsolventen, wenn einfache Tätigkeiten von der Maschine statt von Nachwuchskräften übernommen werden.

Ausblick

Die Digitalisierung wird die Aufgaben der Juristen verändern. Trotzdem sind hoch qualifizierte Juristen nicht ohne Weiteres zu ersetzen, denn der Maschine fällt es weiterhin schwer, eingangs das rechtliche Problem zu identifizieren. Zudem kann keine Software die menschliche Beziehung zu den Kunden ersetzen. Daher steht fest, dass neben exzellenten Fachkenntnissen des Rechts ein fundiertes IT-Wissen sowie Sozialkompetenz immer stärker gefragt sind.

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Autor: Thomas Ritter