Proptech: So wird die Immobilienwirtschaft digital

Digitale Technologien sind auch in der Immobilienbranche auf dem Vormarsch. Property Technology (Proptech) hat sich zu einem Buzzword entwickelt. War das Ökosystem dem Technologie-, Innovations- und Netzwerkzentrum Proptech Switzerland zufolge im ersten Halbjahr vergangenen Jahres um 15 Prozent gewachsen und verzeichnete 175 Proptech-Unternehmen, so könnte die derzeitige Krise als zusätzlicher Beschleuniger der Digitalisierung gesehen werden. Darauf weist JLL, Anbieter von Immobiliendienstleistungen, hin. Zudem berichten Proptech-Unternehmen in der PropTech-Germany-2020-Studie „überwiegend von einer steigenden Aktivität und Aufgeschlossenheit im Establishment, das insbesondere im Zuge der andauernden COVID-19-Pandemie vermehrt das offene Gespräch sucht“. Dennoch müssen sowohl diese gestandenen Unternehmen der Immobilienbranche als auch Proptech-Anbieter einige Hausaufgaben erledigen, wenn die Digitalisierung für sie erfolgreich verlaufen soll.

Bereichernde neue Welt

Grundsätzlich bestehen vielfältige Möglichkeiten, das Potenzial der Digitalisierung zu heben. Bezog sich die Technologie in der Immobilienbranche zunächst vorwiegend auf Plattformen und Portale, speziell Online-Marktplätze und Lösungen rund um die Immobilienvermarktung, so gibt es inzwischen ein weiteres Spektrum, konstatiert JLL und erläutert: Proptechs bedienen sich heute an einer weit gefächerten technologischen Palette wie künstlicher Intelligenz und Machine Learning, Robotics und Drohnentechnologien, Blockchain, 3-D-Druck, Building Information Modeling (BIM) und dem Internet of Things (IoT). Zudem spezialisieren sich die Jungunternehmer mit ihren Lösungen auf diverse Bereiche der Immobilienwirtschaft. Auf diese Weise haben sich zu den Vermietungs- und Verkaufslösungen zum Beispiel Dokumentenmanagement, Immobilen-Bewirtschaftung für nachhaltige Energie-Effizienz, benutzerfreundliche Applikationen für die Immobilienverwaltung und -bewertung, Smart-Home-Lösungen sowie digitale Crowdfunding- und Portfolio-Management-Plattformen hinzugesellt.

Um die Technologien in den Unternehmen zu implementieren, gibt es verschiedene Verfahren. „Während einige Unternehmen auf interne Innovationen setzen, nutzen andere die Zusammenarbeit mit Start-ups als Innovationsmotor“, so JLL. Dabei seien die Formen der Kooperation vielfältig. Meist geht die Initiative von der Immobilienbranche aus, wie es in der Swiss Proptech Study 2018-2019 heisst. Immerhin vermögen Proptech-Unternehmen ihnen zu helfen, ihr Business um neue Produkte, Dienstleistungen oder Geschäftsmodelle zu erweitern. Mit den technologisch versierten Partnern können sie ihr Know-how aufstocken, ihre Sichtbarkeit verbessern, neue Kunden gewinnen, mehr Umsatz generieren sowie ihr Netzwerk ausdehnen. Sogar eine komplette Transformation ihres Kerngeschäfts sei denkbar. Dementsprechend befinde sich die Zusammenarbeit zwischen der Proptech-Industrie und der Immobilienbranche „auf einem guten Niveau“. 86 Prozent der Studienteilnehmer pflegen Partnerschaften mit Proptechs oder kaufen Produkte oder Prozesse aus ihnen. Jedoch gebe es noch Raum für Verbesserungen.

Hürden bei der Transformation

Die Zusammenarbeit läuft nach Angaben von JLL nicht immer reibungslos ab. So gab knapp die Hälfte der Unternehmen und Start-ups aus der DACH-Region an, dass ihre Erwartungen an die Partnerschaft nicht erfüllt wurden. Als grösste Hürden sehen sie zeitzehrende Entscheidungsfindung, abweichende Vorstellungen sowie die Geschwindigkeit von Veränderungen. Die Proptech-Germany-2020-Studie bestätigt diese Hürde. Proptech-Unternehmen bemängeln die oft schwierigen oder undurchsichtigen Entscheidungsstrukturen im „Establishment“. Proptechs wiederum attestiert die Studie Verständnisprobleme für die Wertschöpfungsketten und internen Prozesse der Immobilienunternehmen. Oft verkennen sie die Komplexität und entwickeln am Bedarf vorbei.

Als grösstes Hindernis weist die Proptech-Germany-Studie jedoch den Zugang zu und der Auswertung von Daten aus. Ursächlich hierfür seien Intransparenz, eine geringe Immobiliendatenverfügbarkeit, der Datenschutz sowie die Auswertung von unstrukturierten Daten und die oft mangelhafte Datenqualität beim Kunden. Als zweite grosse Hürde werde die heterogene, in sich geschlossene Immobilienwirtschaft genannt. Die Branche und ihre Prozesse seien von aussen schwer zu verstehen und schwierig recherchierbar. Vor allem jüngere, branchenfremde Proptech-Gründer führen einen beschwerlichen Zugang zu Zielkunden und Ansprechpartnern im „Establishment“ sowie eine generelle Skepsis gegenüber Proptech-Lösungen an. Damit verbunden: eine mangelnde Risikobereitschaft seitens des „Establishments“ für Investitionen in neue, innovative Lösungen. Da ihr Geschäft in den vergangenen Jahren auch ohne Neuerungen sehr erfolgreich war, verkennen sie oft die Chancen für technologische Innovationen. Häufig fokussieren sie sich lediglich auf Kosteneinsparpotenziale. Effizienzgewinnen etwa messen sie eine untergeordnete Bedeutung bei. Dies manifestiert sich in einem weiteren Problem: Anwendern fällt es schwer, eine Umstrukturierung ihrer bisherigen Abläufe zu akzeptieren. Ausserdem verfügen Immobilienunternehmen häufig über eine veraltete Systemlandschaft. Dies führt zu Umsetzungs- und Anwendungsproblemen bei der Implementierung von Lösungen.

Nicht zuletzt bildet es eine Barriere, dass Immobilienunternehmen wie auch Proptechs häufig nicht auf genügend Fachkräfte zurückgreifen können – sei es, weil das vorhandene Personal nicht über die erforderlichen Kompetenzen verfügt oder weil neues zu den üblichen Bedingungen nicht bereitsteht. Dies bestätigen gemäss Südniedersachsen InnovationsCampus die Ergebnisse des Proptech und Real Estate Innovation Day 2020 mit Teilnehmern aus Deutschland, England, Österreich, der Schweiz und den Niederlanden.

Fach- und Führungskräfte als Schlüssel

Ohne qualifizierte Mitarbeiter jedoch kann die Zusammenarbeit nicht optimal funktionieren. Sie bilden das Fundament. Aufseiten der Immobilienbranche braucht es vor allem digitale Kompetenzen und Aufgeschlossenheit beziehungsweise Vertrauen. Zudem kann es laut Proptech-Germany-Studie ein guter Ansatz sein, Verantwortlichkeiten und Rollen von Entscheidungsträgern zu überdenken. Auf der anderen Seite müssen Proptechs Verständnis für die komplexe, heterogene immobilienwirtschaftliche Wertschöpfungskette entwickeln. Falls Branchenexpertise nicht vorhanden sei, sollte sie extern eingeholt werden. Der Marktzugang werde mit einem bestehenden Netzwerk in die Immobilienwirtschaft deutlich erleichtert.

Allem voran jedoch benötigen etablierte Unternehmen und Proptechs hohe kommunikative Kompetenzen. Nur so lassen sich Gräben überwinden. Die Studie sieht vor allem Chief Digital Officers (CDO) als Schlüsselposition sowie Schnittstelle zwischen „Establishment“ und Proptechs kurz- bis mittelfristig eine steigende Bedeutung zukommen. Der CDO von heute sei der CEO von morgen. Dem pflichteten die Branchenvertreter auf dem Proptech und Real Estate Innovation Day bei: Studenten, die sich frühzeitig Kompetenzen an der Schnittstelle von Geschäftsentwicklung und relevanten Zukunftstechnologien aneignen, können sich ihre Jobs künftig aussuchen.

datum:

Autor: Renata Kratzer