Aktuelle Recruitingtrends zeigen: Für die erfolgreiche Rekrutierung von Fachkräften wird zunehmend wichtiger, was die Kandidaten erleben – vom ersten Kontakt mit einem Unternehmen über ihre Bewerbung bis zu ihrer Einstellung oder einer Absage. Sogar einen eigenen Begriff gibt es dafür – Candidate Experience. Analog zur Customer Experience geht es darum, gezielt für positive Erfahrungen der Kandidaten zu sorgen. Dafür müssen die Kommunikationsmassnahmen über den gesamten Prozess – die Candidate Journey – an sämtlichen Kontaktpunkten optimiert werden. Die Spanne reicht von der Anziehungsphase und Informationsphase über die Abschnitte der Bewerbung und der Auswahl bis hin zum Stadium des Onboardings. Bei der Umsetzung besteht in vielen Unternehmen und Organisationen in der Schweiz jedoch Nachholbedarf, obwohl an der Aufgabe kein Weg vorbeiführt.
Hintergrund für diese Notwendigkeit ist, dass gut qualifizierte Bewerber zwischen mehreren Arbeitgebern auswählen können. Wenn sie eine positive Candidate Experience erleben, sind die Chancen wesentlich grösser, dass sie sich für diesen Arbeitgeber entscheiden. Somit haben im Wettbewerb um die besten Talente nur diejenigen Arbeitgeber eine Chance, die besten zu rekrutieren, die für eine positive Candidate Experience sorgen können. Diese wiederum bildet den ersten Teil der Employee Experience – also der Erfahrungen, die ein Angestellter von der Ansprache bis zum Ausscheiden aus dem Unternehmen sammelt. Diese Employee Experience ist laut aktuellem LinkedIn Global Talent Trends Report der wichtigste Recruitingtrend 2020.
So arbeiten derzeit 77 % der Unternehmen an einer Verbesserung der Employee Experience. Der aktuellen Best-Recruiters-Studie zufolge wurden sehr gute Ergebnisse im Bereich Mobile Recruiting erzielt. „63 % der Unternehmen haben ihre Karriere-Website, Online-Stellenanzeigen und -Märkte für die mobile Nutzung optimiert, zunehmend wird auch die Bewerbung via Smartphone ermöglicht.“ Ohne Frage ist dies ein wichtiger Schritt, jedoch lediglich einer. Viel Raum für Optimierungen attestiert die Best-Recruiters-Studie bei den Rückmeldungen auf Kontaktaufnahmen per Social Media. Denn nach dem Versenden einer Nachricht von einem potenziellen Bewerber an 408 Schweizer Unternehmen zeigte sich, das nur 41 die Frage innerhalb einer mehrtägigen Frist beantworteten. Darüber hinaus erfolgte auf Spontanbewerbungen in 22 % der Fälle keine Antwort.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt die Arbeitsmarkt-Studie 2019 von JobCloud. Ihr zufolge hat rund die Hälfte der Befragten bereits erlebt, dass sie auf eine Bewerbung keine Antwort erhalten hat. In solchen Fällen bleiben die Bewerber mit offenen Fragen zurück. Zudem offenbart die Studie, dass 80 % der Bewerber ab und zu bis häufig mit einer vorgefertigten E-Mail darüber informiert werden, dass sie für die Stelle nicht infrage kommen. „Das kommt nicht gut an: 73 % der befragten Bewerber hätten sich eine persönlichere Antwort, im Idealfall sogar mit Angabe von Gründen, gewünscht.“
Ebenfalls aktueller Stand ist, dass Unternehmen Software suboptimal verwenden. Einer Studie des Softwareanbieters Talentry nach setzen zum Beispiel 31 % der Unternehmen ungeeignete Tools für das Talent-Pool-Management ein – etwa Excel oder ein Bewerber-Management-System (BMS). 17 % der Befragten versuchen, Candidate-Relationship-Prozesse im BMS abzubilden. „Die Problematik hierbei: Ein BMS unterstützt zwar den Bewerbungsprozess, ist jedoch kein Engagement-Tool, das den Beziehungsaufbau ermöglicht noch bevor ein Talent überhaupt zum Bewerber wird. In der Folge sehen sich solche Unternehmen zwar mit grossem Arbeitsaufwand konfrontiert, verzeichnen aber trotzdem eine zu geringe Conversion von Kontakten zu Bewerbern und bemängeln die unzureichende Zusammenarbeit zwischen Recruitern und anderen Abteilungen. Dies zeigt: Viele Unternehmen tappen hinsichtlich der gezielten Gestaltung der Candidate Experience – dem Candidate Experience Management – im Dunkeln. Dabei ist das Thema nicht neu.
Vorgesetzte, HR-Fachkräfte und Dienstleister können zum Beispiel vom Kundenbeziehungsmanagement lernen. Genau wie im Customer Relationship Management die Kundenorientierung der Dreh- und Angelpunkt ist, so sollte die Kandidatenorientierung das Zentrum des Candidate Experience Managements bilden. Kernpunkt ist, den Bewerber als ein Gegenüber auf Augenhöhe zu betrachten und ihm die damit verbundene Wertschätzung entgegenzubringen.
Unternehmen sowie Organisationen, die dies verinnerlicht haben, wissen, dass ein individuelles Feedback auf sämtliche Anfragen zum Pflichtprogramm gehört. Sie schätzen die Aufmerksamkeit, die Bewerber ihnen entgegenbringen und sorgen für einheitliche, klare Informationen auf allen Kanälen. Dies beinhaltet unter anderem Transparenz, auch bezogen auf das zu erwartende Gehalt. Denn: Wie eine Umfrage von softgarden zeigt, wünschen sich Bewerber, dass der Arbeitgeber das Gehaltsangebot – entgegen der verbreiteten Praxis – bereits zu einem frühen Zeitpunkt offenlegt. So kann der Interessent früh entscheiden, ob das Angebot für ihn infrage kommt. Aufgrund dieser Wertschätzung der Zeit des Gegenübers ist auch wichtig, dass das Ausfüllen eines Online-Bewerbungsformulars schnell erfolgen kann, so der aktuelle Bewerbungsreport von softgarden. Konkret erwarten 45,1 % der Befragten, dass zehn Minuten dafür genügen.
Es geht darum, sich an den individuellen Erwartungen der Bewerber zu orientieren und die eigenen Prozesse danach auszurichten. Das bedeutet zum Beispiel auch, verschiedene Arten von Bewerbungen zu ermöglichen. Denn wie der zitierte Bewerbungsreport von softgarden zeigt, stellt für 48,9 % die am PC erstellte E-Mail mit Anhängen den beliebtesten Bewerbungsweg dar. 43,4 % bevorzugen die Online-Formular-Bewerbung. Und: So effizient Videobewerbungen auch sein mögen: Ein Viertel der Befragten mag Vorstellungsgespräche per Videochat nicht und zieht das Face-to-Face-Gespräch vor.
Es geht also beim Candidate Experience Management allem voran um persönliche Wertschätzung, ob in der Ansprache, im Vorstellungsgespräch oder bei einer Absage. Dies stellt keinen Luxus oder Altruismus dar, sondern eine erfolgreiche Personalpolitik, wie es im Global Talent Trends Report von LinkedIn heisst. Die Praxis bestätigt dies. Dem Bewerbungsreport von softgarden zufolge beeinflussen die Erlebnisse im Recruitingprozess die Sicht auf den Arbeitgeber und die Entscheidung, die Bewerbung weiter zu verfolgen. Das gilt nicht nur für die eigene Bewerbung, sondern auch für das Interesse anderer. Denn den Unternehmensberatern von Data One zufolge teilen 91 % der Kandidaten ihre Erlebnisse während des Bewerbungsprozesses.
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Autor: Nicole Schmidt