Proaktive Personalsicherung – ein Schutzwall vor der Kündigungswelle

In Unternehmen in der Schweiz läuten leise die Alarmglocken. Dem frisch veröffentlichten „Barometer gute Arbeit“ des Arbeitnehmer-Dachverbandes Travail.Suisse und der Berner Fachhochschule zufolge befindet sich der Stress unter den Beschäftigten auf einem Allzeithoch. Zudem droht eine Kündigungswelle, wie eine aktuelle Umfrage des Softwareanbieters Personio ergab. Ob diese hierzulande ähnlich hoch ist wie in den USA, ist nicht abschätzbar. Doch erfahrungsgemäss ist es häufig nur eine Frage der Zeit, bis Phänomene aus den USA über den grossen Teich schwappen. Daher sind Unternehmen gut beraten, vorzubeugen.

„In den USA kündigen so viele Menschen ihren Job wie noch nie, hinzu kommen Streiks für bessere Arbeitsbedingungen“, berichtet das Magazin Capital. Nach Zahlen des US-Büros für Arbeitsstatistik stieg die Anzahl der Kündigungen im August auf 4,3 Millionen. Diese Problematik bezeichnen Wirtschaftsexperten als „The Great Resignation“ oder „The Big Quit“ – die grosse Kündigungswelle. Als Gründe dafür nennt das Magazin angestaute Unzufriedenheit während der Pandemie und den Wunsch nach grösserer Flexibilität. Eine Folge: Unternehmen haben immense Probleme, offene Stellen dauerhaft zu besetzen. Sie schrauben jetzt „die Anforderungen an Bewerber deshalb drastisch herunter. Schulabschluss, Berufserfahrung? Plötzlich alles egal“, so die Welt.

Ein Blick auf die Gefahr

In der Schweiz ist das nicht der Fall. Dennoch gibt es Entwicklungen, die mehr Kündigungen prognostizieren. Der Personio-Umfrage zufolge möchte fast jeder zweite Arbeitnehmer in Deutschland, Österreich und der Schweiz seinen Job wechseln – 13 Prozent in den nächsten sechs und 15 Prozent in den nächsten zwölf Monaten sowie 17 Prozent, sobald sich die Wirtschaft erholt hat. Hinzu komme, dass sich nur vier von zehn Arbeitgebern dessen bewusst seien und dass demzufolge die Mitarbeiterbindung lediglich bei 34 Prozent der HR-Entscheider in den kommenden zwölf Monaten hohe Priorität habe. Was die Gründe für mögliche Kündigungen betreffe, schätzen die Personaler die Mitarbeiter teilweise falsch ein. Sie glauben, dass hauptsächlich Entlassungen von Kollegen, Kurzarbeit und eine schlechte Work-Life-Balance zu Kündigungsplänen führen. Mitarbeiter beklagen sich jedoch allem voran über eine schlechte Work-Life-Balance, gefolgt von fehlenden Aufstiegsmöglichkeiten sowie mangelnder Wertschätzung.

Nach Angaben im „Barometer gute Arbeit“ fühlen sich 45 Prozent aller Arbeitnehmer durch ihren Job häufig gestresst. Zudem habe die Pandemie die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern in der Arbeitswelt weiter verschärft. Für Frauen nahmen die Belastungen am Arbeitsplatz zu und die Entlastungen ab. Gleichzeitig fehle es an Sensibilität für die Gleichstellung und Frauen sehen sich in etlichen Branchen grossen Hindernisse beim beruflichen Aufstieg ausgesetzt. Auch die gesetzlichen Bestimmungen zur Lohngleichheit werden nur zögerlich umgesetzt. Des Weiteren stehe die Vereinbarkeit von Beruf und anderen Lebensbereichen vor grösseren Hindernissen. Ein Drittel aller Beschäftigten sei nach der Arbeit oft zu erschöpft, um sich noch um private oder familiäre Angelegenheiten zu kümmern.

Dieses Stimmungsbild gilt für Angestellte in leitenden Positionen ebenfalls. Die Neue Zürcher Zeitung schreibt: „Auch Führungskräfte sind auf der Suche nach mehr Sinnhaftigkeit und Wertschätzung.“ Dies erstaune nicht. Denn die Pandemie habe ihnen die Herausforderung einer Führungsfunktion vor Augen geführt. Viele fühlen sich mit der Aufgabe, ihr Team im Homeoffice zusammenzuschweissen und zu motivieren, überfordert. Firmen unternehmen oft zu wenig, um sie an ihre neuen Rollen heranzuführen.

Personalgewinnung wird schwieriger

Gleichzeitig wird es schwieriger, gut ausgebildete Mitarbeiter zu finden, zum Beispiel für Banken. So stellt sich nach Formulierungen von finews.ch heraus, dass nicht allein der Lohnwettbewerb Personalern als kalter Wind ins Gesicht schlage. „Immer mehr zeichnet sich ab, dass gut ausgebildete Berufseinsteiger nicht mehr mit den gängigen Anreizen zu ködern sind.“ Bei der Stellenwahl seien nun Gesundheit und Sicherheit entscheidende Faktoren.

Besonders hoch ist der Fachkräftemangel nach Untersuchungen der Jobdatenbank Jobfile in den Bereichen Bauwesen, Handwerk sowie Umwelt. Auf Platz zwei rangieren technische Berufe wie Ingenieure, Konstrukteure und Architekten, gefolgt von Jobs im Segment Organisation/Projektmanagement. Stellenausschreibungen richten sich mit 49,5 Prozent hauptsächlich an Fachkräfte mit Berufsausbildung plus Erfahrung sowie gewerbliche Fachkräfte. Akademiker und Führungskräfte seien mit 20,9 Prozent bzw. 17,7 Prozent ebenfalls stark gefragt. Dabei treffe der Fachkräftemangel insbesondere kleinere und mittlere Unternehmen. Um mit den Branchenriesen mithalten zu können, müssen sie sich etwas einfallen lassen.

Personalmangel vorbeugen

Ansatzpunkte legt die Personio-Umfrage mit den Wünschen der Beschäftigten nach einer guten Work-Life-Balance, Aufstiegsmöglichkeiten und Wertschätzung offen. Eine Xing-Studie liefert vertiefende Hinweise. Demnach ist nach dem Gehalt und nach dem Bedürfnis nach Jobsicherheit die Möglichkeit remote zu arbeiten eine wichtige Erwartung von Jobsuchenden. Fast jeder dritte Befragte schliesse es aus, in einem Unternehmen zu arbeiten, das kein Homeoffice ermögliche. Damit geht die Entwicklung einher, dass der Firmenstandort an Bedeutung für die Arbeitgeberwahl verliere. Hingegen essenziell seien flexible Arbeitszeiten. 45 Prozent der Befragten wollen nicht in einem Unternehmen ohne flexible Arbeitszeiten tätig sein. Darüber hinaus spielen für viele Talente eine transparente Unternehmenskultur und ein positives Arbeitgeberimage eine wichtige Rolle.

Letzteres beinhaltet, sich der Gesundheit zu widmen, wie Personio anführt. Damit wiederum ist die im „Barometer gute Arbeit“ thematisierte Regelung von Remote-Arbeit verbunden. Dies bedeute, die Homeoffice-Tage zu begrenzen, eine Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, die Einschränkung ausufernder Arbeitszeiten und ein Recht auf Nicht-Erreichbarkeit. Nicht zuletzt können Unternehmen mit Beteiligungen, zusätzlichen Feiertagen, Fahrkarten für den öffentlichen Personennahverkehr sowie kostenlosen Parkplätzen punkten, so eine Umfrage der Plattform swibeco.

Die Chancen, für begehrte Fach- und Führungskräfte attraktiv zu bleiben oder zu werden, stehen für KMU in der Schweiz bestens, wie der Beitrag „So brauchen KMU beim Recruiting auch Welt-Konzerne nicht fürchten“ veranschaulicht. Kürzere Entscheidungswege als in grossen Konzernen, mehr Entfaltungsmöglichkeiten der Mitarbeiter, flachere Hierarchien, der Hidden-Champion-Status vieler Unternehmen und das mental am stärksten globalisierte Land der Welt zu sein, gehören zu den Trümpfen. Sie müssen jedoch ausgespielt werden.

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Autor: Renata Kratzer