Entscheidungen treffen Menschen von früh bis spät: Schätzungen zufolge sind es täglich mehr als 20.000. Darunter sind triviale Fragen wie „Tee oder Kaffee“ und manchmal geht es um wichtige Lebensentscheidungen. Eine neue Stelle zu suchen, ein Haus zu kaufen oder sich für ein Fernstudium zu entscheiden, gehören zu den grossen Fragen des Lebens.
Mit der von Wissenschaftlern „Maximierung“ genannten Methode investieren Menschen viel Zeit und Energie, um nach gründlicher Recherche die optimale Entscheidung zu treffen. Da das menschliche Gehirn kein Hochleistungsrechner ist, das wirkliche alle Informationen findet, bewertet und verarbeitet, erweist sich die perfekte Entscheidung als Illusion. Die gegensätzliche Strategie ist das „Bedürfnis nach einem Ende“. Möglichst schnell eine Antwort zu finden, ist jedoch für wichtige Lebensentscheidungen nicht unbedingt die passende Methode. Auf dem gesunden Mittelweg verabschieden sich die Entscheider von Perfektion, wenden Faustregeln an und bringen Verstand und Intuition in eine Balance.
Albert Einstein soll gesagt haben: „Der intuitive Geist ist ein heiliges Geschenk und der rationale Geist ein treuer Diener". Entscheidungen aus dem Bauch heraus gelten als das Ergebnis einer Art unbewusster Intelligenz. Das Gehirn bedient sich an der Fülle von Erfahrungen mit vielfältiger Erinnerung, Sinnesreizen und Gefühlen. Erstaunliche 500 Billionen Nervenverbindungen enthält dieses „emotionale Erfahrungsgedächtnis“ laut dem deutschen Hirnforscher und Philosophen Gerhard Roth. Steht eine Entscheidung an, greift der Mensch unbewusst auf diesen Schatz an Erfahrungen und Bewertungen zurück. Insbesondere wiederholte Erfahrungen finden Eingang in diesen wertvollen Speicher. Faustregeln, oder wissenschaftlich formuliert „Heuristiken“, helfen speziell bei Entscheidungen unter Zeitdruck. Selbst bei der Analyse am Kapitalmarkt können Faustregeln Erfolg versprechend sein. Nicht nach Perfektion zu streben, den Blickwinkel zu ändern und Rat von unabhängigen Experten einzuholen, kann ebenfalls helfen, eine gute Entscheidung zu treffen.
Der US-amerikanische Sozialwissenschaftler Herbert A. Simon wurde im Jahr 1978 mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichnet. Belohnt wurde seine bahnbrechende Erforschung der Entscheidungsprozesse in Unternehmen. Dabei erfand er das Kofferwort satisficing. Darin stecken „to satisfy“, also befriedigen, und „to suffice“ (genügen). Wer sich mit der ersten Alternative zufriedengibt, die den eigenen Ansprüchen genügt, setzt auf das Prinzip „one good reason“ und ist mit seiner Entscheidung meist zufriedener.
Hirnforscher und Neurowissenschaftler sind sich nicht einig, ob Kopf oder Bauch zu besseren Entscheidungen führen. Gilt es, eine Entscheidung zu treffen, agiert die Intuition auf der Überholspur. Deshalb spielen Profi-Golfer laut einer Studie der Universität Chicago am besten, wenn sie unter Zeitdruck stehen. Dann entscheiden sie intuitiv und durchdenken nicht unzählige Handlungsalternativen. Weitere Erkenntnisse aus der Wissenschaft belegen, dass schnell getroffene intuitive Entscheidungen präzise und erfolgreich sein können. Die Intuition bedient sich am Langzeitgedächtnis und profitiert von den dort gespeicherten Erfahrungen und Erinnerungen.
Der Psychologe und Nobelpreisträger Daniel Kahneman warnt jedoch davor, dass Bauchentscheidungen voreilige Ergebnisse und Vorurteile auslösen können, weil logische Schlüsse nicht betrachtet werden. Ob besser Intuition oder Verstand für eine Entscheidung um Rat gefragt werden sollten, hängt von der Art der Entscheidung ab. Der Schweizer Unternehmer und Autor Rolf Dobelli empfiehlt in seinem Ratgeber „Die Kunst des klugen Handelns“, bei eingeübten Tätigkeiten intuitiv zu entscheiden. Das gilt besonders für motorische Fähigkeiten oder bei Fragen, die derjenige schon unzählige Male beantwortet hat. Steht eine komplexe Entscheidung an, zum Beispiel über eine grosse Investition, empfiehlt er die logische Herangehensweise. Wer in einem völlig neuen Arbeitsgebiet eine Entscheidung treffen muss, setzt besser auf den Verstand als die Intuition. In dem Fall verfügt die Intuition über eine zu kleine Menge an Erfahrungen.
Wo und wie lernen Führungskräfte, gute Entscheidungen zu treffen? Empathische Chefs, die bereit sind zuzuhören, fällen tendenziell bessere Entscheidungen. Hat das Unternehmen eine gute Fehlerkultur entwickelt, führt dies dazu, dass Führungskräfte und Mitarbeiter angstfreier entscheiden können. Kommunizieren Vorgesetzte mit ihren Mitarbeitenden auf Augenhöhe und bringen ihnen viel Vertrauen entgegen, wagen diese sich eher, eine Bauchentscheidung zu treffen. Gefühle statt Fakten sind weniger transparent und erklärbar für andere.
Geht es um die Auswahl neuer Mitarbeiter, setzen kluge Entscheider idealerweise Verstand und Intuition ein. Wer schon unzählige Gespräche geführt hat, dessen Intuition schöpft aus einem grossen Fundus an Erfahrung und Einschätzung. Eine neue Stelle anzutreten, gehört zu den wichtigsten Entscheidungen, die Menschen treffen. Auch dabei kann es hilfreich sein, die Intuition einzubinden. Bewerber treffen daher ihre Entscheidung oft nicht allein rational. Wer sich beim ersten Gespräch vor Ort wohlfühlt, kann das nicht immer mit Fakten begründen. Trotzdem entsteht das positive Gefühl im Abgleich mit bereits erlebten Situationen bei früheren Arbeitgebern oder in anderen Bewerbungsgesprächen.
In der VUKA-Welt sollten Entscheidungen möglichst schnell und entschlossen getroffen werden. Gleichzeitig sind Flexibilität und ein klassischer Plan B zentral, um auf Planänderungen reagieren zu können. Der Markt und die Kundenwünsche können sich schnell verändern und dann sind Umwege gefragt. Für kluge und fundierte Entscheidungen sollten Kopf und Bauch nicht gegeneinander ausgespielt werden: Im Idealfall arbeiten sie zusammen. Im ersten Schritt wird die Intuition abgefragt. Werden dann rational die Handlungsalternativen verglichen, zeigt sich schnell, ob Verstand und Intuition in die gleiche Richtung tendieren. Ist das der Fall, lässt sich die Entscheidung aus voller Überzeugung treffen. Das Gefühl kann im nächsten Schritt die rationale Entscheidung stärken. Führt die Liste aus Pro und Kontra zu einem Unentschieden, wird das Bauchgefühl zum Zünglein an der Waage.
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Autor: Nicole Schmidt