Die Schweiz als Arbeitsort hat in der aktuellen Krise an Beliebtheit bei ausländischen Arbeitskräften gewonnen. Als einziges Land in Europa verbesserte sie sich im Top-10-Ranking, wie die „Global Talent Study“ der Managementberatung Boston Consulting Group, von The Network und JobCloud attestiert. Das ist erfreulich, jedoch noch kein Grund zum Jubeln. Denn aus dem Attraktivitätsplus erwächst Verantwortung für Politik und Unternehmen.
Die Schweiz ist auf ausländische Facharbeiter angewiesen. Diese stellen derzeit nach Angaben des Informationsdienstes des Instituts der deutschen Wirtschaft circa 32 Prozent aller Erwerbstätigen. Hochtalentierte internationale Spitzenkräfte tragen entscheidend dazu bei, Fachkräftemangel zu reduzieren. Sie wirken den Auswirkungen der demografischen Alterung entgegen, fördern den Wissensaustausch, erhöhen die Steuereinnahmen und steigern die Produktivität, ist in einer Studie der Wirtschaftsberatung Deloitte sowie der Swiss-American Chamber of Commerce dargelegt. Vor allem in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik – und damit in innovationsintensiven Berufsgruppen – sehen die Experten einen zunehmenden Fachkräftemangel, dem mit inländischem Potenzial nicht ausreichend begegnet werden könne. Dies gelte insbesondere in Bezug auf Hochqualifizierte. Häufig seien es internationale Koryphäen, die Innovationen voranbringen. Deshalb werden jene benötigt, um weiterhin zu den Erfolgreichsten zu gehören.
Angesichts dieser Lage stellt es eine vorteilhafte Entwicklung dar, dass die Schweiz bei Arbeitnehmern aus dem Ausland gefragter geworden ist, zumal die Bereitschaft in anderen Ländern zu arbeiten, stark rückläufig ist, insbesondere bei den Schweizern selber. Die Eidgenossenschaft befindet sich nun auf Platz 7 der weltweit populärsten Länder für einen Job. „Besonders beliebt ist die Schweiz als Arbeitsplatz bei Menschen aus den Nachbarländern sowie aus dem Balkan“, so die Arbeitsmarkt-Studie. Generell schneiden nahe gelegene Länder besser ab als weiter entfernte Ziele wie die USA. Ein weiterer Trend: „Homeoffice und Remote Work werden zu einem immer beliebteren Arbeitsmodell, was dazu führt, dass Mitarbeitende unter Umständen auch aus der Ferne für einen ausländischen Arbeitgeber tätig sein können.“ Zwar wollen die Schweizer unterdurchschnittlich häufig für ein ausländisches Unternehmen arbeiten, aber die Schweiz ist auch für die internationale Fernarbeit besonders reizvoll. Sie rangiert auf Rang 8 der betreffenden Hitliste.
Die beschriebenen Veränderungen spiegeln das Verlangen der Menschen wider, in einem Land mit starkem Sozialsystem, gutem Management der Krise und einladender Einwanderungspolitik zu arbeiten, wie aus der Untersuchung hervorgeht. Die Schweiz gelte als „sicherer Hafen“, nicht zuletzt, weil die Eidgenossenschaft in der allgemeinen Wahrnehmung die Herausforderungen besser als andere europäische Länder handle. Dies könnte zu Stolz verleiten, was jedoch nicht angebracht ist.
Denn die Global Talent Study legt auch offen, dass die Schweiz lediglich einen Rang wettgemacht hat. 2018 befand sie sich auf Platz 8 der „Charts“, 2014 auf Platz 5. Zudem seien Studenten sowie hoch qualifizierte Mitarbeiter am ehesten bereit, eine Beschäftigung im Ausland anzunehmen. Dies könne auf das Risiko einer Abwanderung von Talenten hinweisen. Darüber hinaus zeigt das Expat City Ranking 2020 von InterNations, dass die Rahmenbedingungen für ausländische Arbeitskräfte hierzulande bei Weitem nicht optimal sind. Als beste Stadt in der Schweiz erreichte Basel Rang 24 von 66, gefolgt von Lausanne auf dem 28. Rang. Ein wesentlicher Grund für das relativ schlechte Abschneiden ist, neben zum Teil hohen Lebenshaltungskosten, dass sich viele Expats nicht willkommen fühlen und es als schwierig empfinden, sich an die lokale Kultur zu gewöhnen. Zürich beispielsweise landete im Index „sich einleben“ auf dem 58. Platz. Dies vermögen positive Aspekte wie das städtische Arbeitsleben, der Wirtschaftsstand, die Lebensqualität, das öffentliche Verkehrssystem, die Umwelt, die Sicherheit und politische Stabilität nicht aufzuwiegen.
Dabei liesse sich das „soziale Dilemma“ ohne grosses Aufsehen beseitigen. Jedes Unternehmen und jede Organisation, die ausländische Fachkräfte beschäftigt und in der diese einen Teil zur Wertschöpfung beitragen, könnte mit wenig Aufwand eine Kultur etablieren, die von mehr Offenheit geprägt ist und in welcher Kollegen unabhängig von ihrer Herkunft stärker in das soziale Leben einbezogen werden. Sie würde in mehrfacher Hinsicht davon profitieren, ebenso wie die gesamte Schweiz. Denn die Global Talent Study demonstriert geradezu, dass sich die Marke eines Landes sehr schnell verändern kann. Dies wiederum gilt zum Guten wie zum weniger Guten.
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Autor: Renata Kratzer