Dürfen Arbeitnehmende 2022 mit steigenden Löhnen rechnen?

Wer in der Schweiz einen neuen Arbeitsplatz sucht, braucht neben einer guten Qualifikation und der nötigen Erfahrung auch Verhandlungsgeschick. Damit können Arbeitnehmer mitunter einen höheren Lohn aushandeln, da die schweizerischen Gehaltssysteme oft flexibel angelegt sind. Je grösser das Unternehmen, desto höher im Allgemeinen die Wahrscheinlichkeit, dass sich das Wunschsalär auch durchsetzen lässt. Neben der Unternehmensgrösse spielen die Branche und die Art der Vakanz eine weitere Rolle.

Trotz der Corona-Pandemie hat jedes zweite schweizerische Unternehmen vor, im neuen Jahr die Löhne für seine Mitarbeitenden zu erhöhen. Der Anstieg soll ähnlich hoch ausfallen wie im Jahr 2021. Dies ergab eine JobCloud-Umfrage unter 10.000 Arbeitnehmenden und 800 Unternehmen in der Deutsch- und Westschweiz. Gleichzeitig rechnen weniger als 30 Prozent der Arbeitnehmenden mit mehr Geld.

Laut der Umfrage von JobCloud planen 63 Prozent der mittleren und grösseren Unternehmen ab 250 Mitarbeitenden für 2022 eine Erhöhung der Saläre. Bei den Firmen mit neun oder weniger Mitarbeitenden sind es lediglich 41 Prozent. Kleinere Unternehmen und Neugründungen sind derzeit oft vorsichtiger bei Lohnerhöhungen. In und nach der Krise wollen sie den Abbau von Arbeitsplätzen verhindern und zunächst wieder ein solides Polster aufbauen.

Grosse Unternehmen zeigen mehr Spielraum bei Lohnerhöhungen

Die UBS erwartet für das Jahr 2022, dass die schweizerischen Nominallöhne im Durchschnitt um 0,8 Prozent steigen werden. Dies entspricht dem durchschnittlichen Anstieg der letzten zehn Jahre. Für die Umfrage hat das Chief Investment Office von UBS Global Wealth Management 314 Unternehmen in der Schweiz befragt. Die UBS-Lohnumfrage zeigt, dass die höchsten Lohnanstiege bei grossen Unternehmen zu erwarten sind. So planen Teile der Industrie sowie Chemie-, Pharma- und Finanzbranche, die Saläre um ein Prozent anzuheben. Mit einem ähnlichen Anstieg rechnet die Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie sowie die Uhren- und Schmuckbranche. Am anderen Ende der Skala findet sich die Tourismus- und Freizeitbranche. Dieser durch die Pandemie stark belastete Sektor bietet im Durchschnitt nur ein halbes Prozent mehr Lohn. Bei einer erwarteten Inflation von 0,4 Prozent im Jahr 2022 stagnieren die Löhne damit. Nachdem die Verbraucherpreise im Jahr 2020 sogar gefallen sind, wird für das Gesamtjahr 2021 eine Inflation von 0,5 Prozent erwartet.

Sollten die derzeitigen Probleme in den globalen Lieferketten zu höheren Konsumentenpreisen führen, würde dies auch einen Druck auf die Löhne ausüben. Es könnte sich die gefürchtete Preis-Lohn-Spirale entwickeln. In den USA ist die Inflation bereits auf dem höchsten Stand seit 13 Jahren.

Der Fachkräftemangel gibt den Bewerbern Verhandlungsspielraum

Längerfristig ist zu erwarten, dass auf die Unternehmen in der Schweiz der Druck steigen wird, die Löhne zu erhöhen. Insbesondere der Fachkräftemangel zwingt die Unternehmen, attraktive Konditionen anzubieten. Den Mangel an Arbeitskräften nannten im September 2021 fast 40 Prozent der Betriebe in der Baubranche als ein grosses Problem. Auch bei den übrigen Dienstleistungen wie Logistik, Verkehr, Informationstechnologie, Beratung und Gesundheit gab fast jedes vierte Unternehmen an, unter Personalmangel zu leiden.

Die aktuelle Salärstudie des Branchenverbands SwissICT zeigte, dass die Löhne in der IT schon seit einigen Jahren überdurchschnittlich hoch sind. Für die Studie haben über 270 Unternehmen in der Schweiz 36000 Lohnnennungen gemeldet.

Hohe Löhne alleine ergeben keinen attraktiven Arbeitgeber

Hohe Löhne sind jedoch nicht immer das einzige Mittel, um gefragte Spezialisten zu gewinnen und nachhaltig zu binden. Flexible Arbeitsbedingungen und hybride Arbeitsmodelle sind mittlerweile bedeutsamer oder genauso wichtig wie das Salär. Gleichfalls spielt es für immer mehr Menschen eine entscheidende Rolle, dass sie eine sinnstiftende Arbeit ausüben und die Unternehmenskultur stimmt. Nicht zuletzt die Corona-Pandemie hat dazu geführt, dass die Sicherheit des Arbeitsplatzes für viele Menschen an Bedeutung gewonnen hat.

Wer als Unternehmen eine attraktive Arbeitgebermarke aufbaut, hat es leichter, Fachkräfte zu gewinnen. Aktivitäten mit Corporate Influencern können dabei die Arbeitgebermarke stärken. Umgekehrt zahlen Unternehmen oft höhere Gehälter, wenn sie keine starke Arbeitgebermarke haben. Hat ein Unternehmen gar einen schlechten Ruf, wäre jeder zweite Bewerber selbst bei einem höheren Lohn nicht bereit dort zu arbeiten.

Auch in Zukunft spielen individuell angemessene und wettbewerbsfähige Löhne eine wichtige Rolle. Um rare Talente zu gewinnen, braucht es obendrein ein attraktives Gesamtkonzept und die Übereinstimmung der gelebten Unternehmenskultur mit der Aussendarstellung.

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Autor: Thomas Ritter