Die Digitalisierung und die Realität - eine Zweiklassengesellschaft

Das Thema Digitalisierung ist ein Dauerbrenner in der Schweiz. Das Land präsentiert sich gerne fortschrittlich. Der erste nationale Digitaltag ist noch nicht lange her. Tatsächlich sind die Bedingungen, um von der Digitalisierung zu profitieren, in der Schweiz gut. Bei der Analyse steuerlicher Standortattraktivität digitaler Geschäftsmodelle der Wirtschaftsprüfer von PwC und des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung erreicht die Eidgenossenschaft im Vergleich von 33 Ländern Rang elf. Jedoch zeigt die Realität erhebliche Unterschiede zwischen grossen und kleinen Unternehmen. Der Schweizer Wirtschaft droht eine digitale Zweiklassengesellschaft.

Diese mögliche Spaltung attestiert das Beratungsunternehmen Ernst & Young (EY). Seine aktuelle Umfrage unter 700 Schweizer Unternehmen mit 30 bis 2.000 Mitarbeitern legt offen, dass 73 Prozent der Firmen mit einem Umsatz von mehr als 100 Millionen Franken digitale Technologien nutzen. Von den befragten Unternehmen mit einem Umsatz von weniger als 30 Millionen Franken gaben nur 21 Prozent an, digitale Technologien hätten eine sehr grosse Bedeutung. Darüber hinaus ist es unterschiedlich, wie Unternehmen digitale Technologien verwenden. So ergab die Untersuchung zwar, dass Unternehmen hauptsächlich Kundenbeziehungen digital organisieren und die Hälfte der Firmen Produkte online verkauft, jedoch verdeutlicht der KMU-Spiegel 2017: Insbesondere in kleinen sowie mittleren Unternehmen herrscht grosse Unsicherheit darüber, worauf sie sich beim Thema Digitalisierung fokussieren sollten.

Vielfältige Herausforderungen

Immerhin wird Digitalisierung unter verschiedenen Stichworten diskutiert und für die unterschiedlichen Branchen haben verschiedene digitale Themen Bedeutung. Ebenso sind Ausmass und Geschwindigkeit der Veränderungen, zu denen die Digitalisierung führt, von Branche zu Branche unterschiedlich. Im produzierenden Gewerbe und in der Baubranche haben Effizienzsteigerungen oberste Priorität. Für Dienstleistungsunternehmen rangiert die Automatisierung an erster Stelle, während für die IKT-Branche neue Geschäftskonzepte im Vordergrund stehen. „Im Handel und im Gastgewerbe sind marktbezogene Aspekte, wie neue Kunden und digitale Vertriebswege, sehr wichtig. Im Gesundheits- und Sozialwesen geht es vor allem um die Nutzung von Patientendaten.“ Dem entsprechend vielfältig sind die Herausforderungen.

Für Handel und Gastronomie beispielsweise ist Markttransparenz ein wichtiger Aspekt, für Dienstleister sowie für Unternehmen aus dem Gesundheits- und Sozialwesen die Datensicherheit. Insbesondere Produktionsunternehmen benötigen kompetente Mitarbeiter und die Baubranche bedarf hoher finanzieller Ressourcen. Unabhängig von den einzelnen Schwerpunkten müssen überall sämtliche Prozesse im Unternehmen optimiert werden. Denn nur dann lässt sich mithilfe der digital vorliegenden Daten Mehrwert schaffen und die Chancen der Digitalisierung können bestmöglich genutzt werden.

Neue Kompetenzspektren

Dafür brauchen Unternehmen sowohl geeignete Strategien als auch Mitarbeiter mit neuen Kompetenzspektren. Wie diese aussehen, zeigt die Studie „Die Entwicklung der Kompetenzanforderungen auf dem Arbeitsmarkt im Zuge der Digitalisierung“ im Auftrag des Staatssekretariats für Wirtschaft (SECO). Ihr zufolge betrifft die Digitalisierung alle Branchen sowie Berufe. Ausserdem wirkt sie sich auf den Arbeitsmarkt aus. So gehen aufgrund von Rationalisierungen die Beschäftigungszahlen in Berufen wie der Metallbearbeitung, im Post- sowie Fernmeldewesen oder bei den Druckern zurück. Kaufmännische Angestellte und Büroberufe sind ebenfalls rückläufig. Auf der anderen Seite verzeichnen Berufe der Informatik und des Ingenieurwesens sowie Jobs in Werbung und Marketing, im Bank- und Versicherungswesen, Treuhänder, Immobilienfachleute, Personalfachleute, Krankenpflegeberufe, Mitarbeiter in Fürsorge und Erziehung, Hochschullehrpersonen sowie mittlere und hohe Kader deutliche Beschäftigungszuwächse.

Die Kompetenzanforderungen haben sich zum Beispiel im Bereich Dokumentation und Administration verändert. Dort geht es um digitale Arbeitszeitenerfassungen, Planungen sowie Dokumentationen. Der Einzug der Digitalisierung in Produktionsprozesse erfasst unter anderem die digitale Fehleranalyse und den 3-D-Druck. In der Kommunikation mit dem Kunden sind zunehmend fachübergreifende Informationen und ein ganzheitliches Verständnis gefragt.

Brücken bauen

Generell betrachtet gewinnen Berufe mit höheren Anteilen an analytischen sowie interaktiven Nicht-Routinetätigkeiten an Bedeutung, solche mit manuellen Routinetätigkeiten verlieren. Vor allem IT-Affinität, Datenanalyse, Prozessverständnis und überfachliche oder Querschnittskompetenzen wie Soft Skills sind begehrt. Das heisst: Wer flexibel, teamfähig, kreativ und kommunikativ ist, die anspruchsvollere Interaktion mit Kunden beherrscht und out of the box denken kann, ist gefragt. Diese überfachlichen Kompetenzen sind besonders in der Kombination mit beruflichem Fachwissen wichtig. Denn Unternehmen suchen Brückenbauer zwischen der alten und der neuen Welt.

Gleichzeitig kommt es für sie darauf an, solche Kompetenzen aktiv zu fördern und in die Entwicklung ihrer Mitarbeiter zu investieren. Dies gilt für kleine wie für grosse Player. „Auch Betriebe mit 100 oder 200 Mitarbeitenden können Lieferketten optimieren, Kundenbeziehungen intensivieren oder Produkte individualisieren. Sie werden so flexibler und sparen Geld, Zeit und Ressourcen. Kooperationen sind wichtig, nicht nur wenn im Betrieb das Geld oder das Wissen für eigene digitale Lösungen fehlt. Die Unternehmen müssen ein digitales Ökosystem mit Partnern aufbauen“, wie EY rät. Wenn ihnen dies gelingt, lässt sich eine digitale Zweiklassengesellschaft vermeiden.

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