Vom Jahr 2012 bis zum Jahr 2017 haben die krankheitsbedingten Fehlzeiten von Schweizer Angestellten im Job um 20 Prozent zugenommen. Der Hauptgrund dafür sind psychische Erkrankungen. Das berichtete „20 Minuten“ kürzlich unter Berufung auf die „NZZ am Sonntag“ und die Krankenkasse Swica. Innerhalb der fünf Jahre seien die Arbeitsausfälle aufgrund solcher Leiden um 35 Prozent gestiegen. Während Adrian Wüthrich, Präsident des Gewerkschaftsdachverbands Travailsuisse, die Zunahme der psychischen Erkrankungen auf Stress am Arbeitsplatz zurückführte, erklärte Martin Kaiser, Leiter Sozialpolitik beim Arbeitgeberverband, die vermehrten psychischen Erkrankungen als ein gesellschaftliches Phänomen statt durch die Arbeit verursacht. Recht haben dürften beide.
Denn das Gegenteil – psychische Gesundheit – umfasst dem aktuellen Bericht „Psychische Gesundheit in der Schweiz“ des Schweizerischen Gesundheitsobservatoriums (Obsan) zufolge „Aspekte wie persönliches Wohlbefinden, Lebenszufriedenheit, Selbstbewusstsein, Beziehungsfähigkeit, die Fähigkeit die normalen Lebensbelastungen zu bewältigen, produktiv zu arbeiten und imstande zu sein etwas zu seiner Gemeinschaft beizutragen“. Daran wird deutlich, dass sowohl die Arbeit als auch das Privatleben Einfluss auf die psychische Gesundheit haben. Demzufolge setzen sinnvolle Massnahmen an beiden Punkten an.
Für das Aussehen solcher Schritte liefert der Bericht ebenfalls Anhaltspunkte, zum Beispiel indem er beschreibt: „Psychische Gesundheit bedarf eines Gleichgewichts zwischen Anforderungen und Ressourcen.“ Anforderungen seien von aussen und innen wirkende Stressoren, die mittels äusseren und inneren Ressourcen modifiziert sowie bewältigt werden können. Die Wirkung der Stressoren werde grösser, wenn diese kumuliert und anhaltend auftreten. Psychische Gesundheit erfordere eine ständige aktive Anpassung des Individuums entsprechend den laufenden objektiven und subjektiven Veränderungen. „Sie ist kein Zustand, sondern ein vielschichtiger, dynamischer Prozess, der neben individuellen Aspekten auch massgeblich von äusseren Faktoren beeinflusst wird.“ Das bedeutet: Es hilft, die Arbeit besser zu organisieren sowie die Ressourcen aufzustocken und zu aktivieren.
Grosses Potenzial dafür liegt darin, Fähigkeiten wie Gelassenheit, Selbstbewusstsein sowie Teamarbeit gezielt zu stärken – die Resilienz, wie unser Blogbeitrag „Widerstandsfähigkeit stärken rentiert sich“ erläutert. „Bezogen auf die Arbeit in Teams sind das Merkmale wie angemessene Anerkennung, Wertschätzung und Fehlerkultur, eine positive, realistische Erwartungshaltung, ein gemeinsames Identitäts- und Zielverständnis sowie lösungsorientiertes Arbeiten“. Dies beinhalte eine resilienzfördernde Arbeitsatmosphäre. Eine solche umfasse die Förderung individueller Resilienz durch Trainings, um Eigenschaften wie Belastbarkeit, Reflexionsfähigkeit und Veränderungsbereitschaft zu stärken. Aber auch die gezielte Qualifizierung der Führungskräfte für gesundheitsförderndes Handeln gehöre dazu. Sie können den Grundstein für eine konstruktive Zusammenarbeit legen, indem sie offene, wertschätzende Kommunikation leben – sei es beim Unterstützen in der Einarbeitungszeit, in regelmässig stattfindenden Meetings oder beim abteilungsübergreifenden Netzwerken. Gemeinsame Aktivitäten – auch ausserhalb der Arbeitszeit – fördern das Verständnis füreinander und können dazu beitragen, eine gemeinsame Identität zu entwickeln. Dies sei eine wesentliche Grundlage für das Entwickeln einer Feedbackkultur, in der Mitarbeiter sich gegenseitig unterstützen, was wiederum die Lösungskompetenz stärke.
Damit auch die gefährdeten Mitarbeiter im notwendigen Masse erreicht werden, sind Unternehmen bei der Planung geeigneter Massnahmen gut beraten, sich mit den Schwerpunktgruppen und Risikofaktoren zu befassen. Wie der Bericht „Psychische Gesundheit in der Schweiz“ darlegt, berichten Frauen „deutlich häufiger von psychischer Belastung als Männer und weniger (Aus-)Gebildete geben dies häufiger an als gut (Aus-)Gebildete.“ Zudem fühlen sich die Befragten im Kanton Tessin sowie in der Genferseeregion im regionalen Vergleich am häufigsten psychisch belastet. Es zeige sich: Die Ansicht, das Leben nur wenig selbstbestimmt gestalten zu können, geringe oder fehlende soziale Unterstützung, vor allem bei geringer Bildung, und Einsamkeit zählen zu den Risikofaktoren. Ergo können Unternehmen den von ihnen ausgehenden Gefahren mit Massnahmen entgegenwirken, die auf ein höheres Bildungsniveau und die Förderung ausserdienstlicher Aktivitäten abzielen.
Darüber hinaus müssen Firmen ihren Umgang mit psychisch auffälligen Mitarbeitern verbessern, wie Kurt Mettler, Gründer des Dienstleisters SIZ Care, gegenüber der Neuen Zürcher Zeitung sagte. Damit ist gemeint, dass Arbeitgeber gezielt daran arbeiten, Konflikte zu klären und Mitarbeiter zu (re)integrieren. Somit werden nicht nur Krankschreibungen als der Weg des geringsten Widerstandes sowie hohe Folgekosten, die sich insgesamt immerhin auf mehr als 20 Milliarden Schweizer Franken im Jahr belaufen, vermieden. Auch für psychisch angeschlagene Menschen persönlich ist der Beruf mit einer sinnvollen Tätigkeit, einem strukturierten Tagesablauf und einem guten Netz an Kollegen in vielen Fällen die beste Therapie, so die NZZ unter Berufung auf den Psychologen Niklas Baer.
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Autor: Renata Kratzer